Totenkünstler (German Edition)
Leben so ging.
»Wir wussten, dass Dad nicht mehr lange zu leben hatte, und so schwer das auch für uns war, Allison und ich waren darauf vorbereitet.« Sie schüttelte den Kopf, und ihre Unterlippe zitterte. »Dachte ich zumindest. Offenbar habe ich mich getäuscht. Und dann noch auf diese Weise zu erfahren, was wirklich passiert ist …« Sie schob Hunter die Zeitung hin und sagte nichts mehr.
»Noch einmal, es tut mir leid«, beteuerte Hunter, ohne die Zeitung anzusehen. »Ich musste eine Entscheidung treffen. Und das habe ich getan, auf der Grundlage meiner Erfahrungen im Umgang mit den Hinterbliebenen von Mordopfern.« Er sagte dies in sanftem Tonfall und ohne jede Herablassung.
Darauf schien Olivia anzusprechen. »Was gestern passiert ist …« Ihr Blick glitt zur Zeitung, dann zurück zu Hunter. »Gibt es da wirklich einen Zusammenhang?«
Durch ihre Frage zwang sie Hunter zu einer Antwort, die er ihr sowieso nicht ewig hätte vorenthalten können.
»Nach unserem bisherigen Kenntnisstand scheint es so, dass beide Verbrechen von demselben Täter verübt wurden, ja«, antwortete er, um dann rasch hinterherzuschieben: »Sie haben den Artikel ja offensichtlich gelesen.« Er deutete mit einem Nicken auf die Zeitung.
»Ja.«
»Sagt Ihnen der Name Andrew Dupek irgendwas?«
»Nein«, antwortete sie mit einem leichten Kopfschütteln.
»Sie erkennen ihn auf dem Zeitungsfoto nicht wieder?«
»Als ich den Artikel heute Morgen gelesen habe, habe ich mir dieselbe Frage gestellt, Detective.« Abermals wandte Olivia den Blick ab. »Weder sein Name noch sein Gesicht kommen mir bekannt vor. Falls mein Vater ihn gekannt hat, hat er ihn mir gegenüber nie erwähnt. Und ich kann mich definitiv nicht daran erinnern, ihn schon mal gesehen zu haben.«
Hunter nahm dies mit einer leichten Neigung des Kopfes zur Kenntnis.
Olivia trank ihr Wasser aus, dann fixierte sie Hunter mit einem beschwörenden Blick. »Sie haben noch nicht viel in der Hand, oder, Detective?« Sie zögerte ganz kurz. »Und bitte belügen Sie mich nicht schon wieder.« Ihre Stimme kippte.
Hunter zögerte, weil er überlegte, was er ihr sagen sollte. Olivias bange Erwartung schwirrte wie eine elektrische Ladung in der Luft. »Im Moment haben wir mehrere Hinweise, die wir noch auswerten müssen. Aber wir machen Fortschritte«, versicherte er ihr. »Viel mehr als das kann ich Ihnen wirklich nicht sagen, es tut mir leid. Ich hoffe, Sie haben dafür Verständnis.«
Einen langen, unangenehmen Moment saß Olivia einfach nur da und schwieg. »Detective. Ich weiß, dass nichts jemals meinen Vater zurückbringen kann, aber die Vorstellung, dass dieses Monster, das ihn getötet hat, vielleicht noch da draußen ist und weiter mordet … und dass es vielleicht nie seine gerechte Strafe bekommen wird – dieser Gedanke ist unerträglich für mich. Bitte lassen Sie das nicht zu.«
39
Es war Vormittag, und es gab keinen Zweifel, dass ihnen ein weiterer heißer Tag bevorstand. Wolkenlos blauer Himmel vereinte sich mit strahlendem Sonnenschein, und trotz der frühen Stunde war die Hitze schon fast drückend. Die Klimaanlage in Garcias Auto lief auf Hochtouren, als er und Hunter zum Rechtsmedizinischen Institut fuhren. Dr. Hove hatte die Obduktion von Andrew Dupeks Leiche abgeschlossen.
Hunter saß schweigend auf dem Beifahrersitz, den Ellbogen gegen den Türgriff gelehnt, das Kinn auf der Faust. Obwohl es den Anschein machte, als beobachte er das Chaos des morgendlichen Verkehrs, war er mit den Gedanken ganz woanders. Olivias gefühlsgeladene Worte gingen ihm nicht aus dem Kopf. Ihr Schmerz war für ihn genauso real wie für sie und ihre Schwester.
Wenige Wochen nachdem Hunter seinen Doktortitel in Kriminal-und Biopsychologie verliehen bekommen hatte, wurde sein Vater, der in Downtown Los Angeles in einer Filiale der Bank of America als Wachmann arbeitete, während eines verpfuschten Banküberfalls in die Brust geschossen. Zwölf Wochen lang lag er schwerverletzt im Koma, und während der ganzen Zeit wich Hunter ihm nicht von der Seite. Er glaubte fest daran, dass seine Gesellschaft, der Klang seiner Stimme und seine Berührung seinem Vater helfen würden, die Kraft zum Weiterleben zu finden. Er irrte sich.
Zwei der Bankräuber waren in der Bank erschossen worden, den drei übrigen Mitgliedern der Bande jedoch war die Flucht gelungen. Man hatte sie nie gefasst.
Das Wissen, dass die Mörder seines Vaters nie für ihre Tat zur Rechenschaft gezogen worden waren,
Weitere Kostenlose Bücher