Totenkünstler (German Edition)
digitalisiert. Zwar bemühte man sich bei der Bezirksstaatsanwaltschaft von Los Angeles, ältere Fälle so schnell wie möglich in die Datenbank einzupflegen, aber die schiere Flut an Material sowie der chronische Personalmangel hatten zur Folge, dass der Prozess nur äußerst schleppend voranging. Dasselbe galt für das LAPD und Dupeks Akten.
Doch bislang machte Alice mit dem, was sie hatte, sehr gute Fortschritte. Ihr selbstgeschriebenes Programm hatte bereits sechsundvierzig Dokumente markiert. Allerdings hatte sie immer noch Dupeks Fälle vor sich.
41
Hunter zog den Atemschutz über Nase und Mund und stellte sich rechts neben einen der beiden Sektionstische im Speziellen Sektionssaal 1. Garcia stand dicht hinter ihm, die Arme vor der Brust verschränkt und die Schultern nach vorn gebeugt, als wollte er sich vor einem eisigen Wind schützen.
Wie immer war der Raum trotz der sommerlichen Wärme draußen zu kalt; trotz des grellen Lichts der OP-Lampen und Halogenröhren zu düster; und zu makaber, mit seinen Tischen und Arbeitsflächen aus rostfreiem Stahl, der klinischen Reinheit, dem Wabengeflecht aus Kühlzellen und der abschreckenden Auslage laserscharfer Schneidinstrumente.
»Die Maske ist nicht nötig, Robert«, sagte Dr. Hove, und der Schatten eines Lächelns zuckte um ihre Mundwinkel. »Es besteht kein Infektionsrisiko, und eigentlich riecht die Leiche auch nicht.« Sie zögerte, während die ihre Worte überdachte. »Vielleicht ein bisschen.«
Jede Leiche riecht aufgrund der natürlichen Zersetzung des Gewebes und des rasanten Bakterienwachstums, das nach dem Tod einsetzt. Allerdinge hatte dieser Geruch Hunter noch nie gestört. Alle Leichen wurden vor der Sektion gründlich gewaschen, danach war der Geruch kaum noch wahrnehmbar.
»Ihnen ist schon klar, dass Ihr Geruchssinn so tot ist wie ein Brathähnchen, oder, Doc?«, gab Hunter zurück, während er sich ein Paar Latexhandschuhe überstreifte.
»Mein Mann sagt mir das jedes Mal, wenn ich koche.« Erneut lächelte die Rechtsmedizinerin, um dann die Aufmerksamkeit der beiden Detectives auf die zwei Sektionstische zu lenken. Auf dem einen lag Dupeks verstümmelter Torso, auf dem anderen sein Kopf neben den abgetrennten Gliedmaßen. Diesen Tisch nahm sich Dr. Hove als Erstes vor.
»Die offizielle Todesursache war Herzversagen aufgrund des Blutverlusts. Genau wie bei unserem ersten Opfer.«
Hunter und Garcia nahmen dies mit einem Nicken zur Kenntnis. Hove fuhr fort.
»Ich habe die Schnittmarken mit denen beim ersten Opfer verglichen. Sie stimmen überein. Der Täter hat dasselbe Schneidinstrument benutzt.«
»Das elektrische Tranchiermesser?«, fragte Garcia.
Dr. Hove nickte. »Aber diesmal ist der Täter ein wenig anders vorgegangen.«
»Inwiefern?«, fragte Hunter und ging um den Tisch herum.
»Er hat sich die Zeit genommen, die Blutung ordnungsgemäß zu stillen. Die Amputation der Füße trägt alle Merkmale einer korrekt ausgeführten Syme-Exartikulation.«
»Einer was?«, fragte Garcia.
»Das ist eine Methode zur Amputation des Fußes im Sprunggelenk, benannt nach James Syme«, klärte Dr. Hove ihn auf. »Syme war im neunzehnten Jahrhundert Professor für klinische Chirurgie an der University of Edinburgh. Er hat eine Methode zur Fußamputation entwickelt, die heute noch Anwendung findet. Wie auch immer – die Schnitte gehen sauber durch die Knöchelgelenke. So wie bei einer Syme-Exartikulation vorgesehen, wurden die großen Blutgefäße durchstochen und ligiert. Jedenfalls so gut wie möglich, man darf ja nicht vergessen, dass der gesamte Eingriff in einer Bootskajüte und ohne OP-Team stattfand. Normalerweise werden kleinere Blutgefäße während des Eingriffs elektrokauterisiert, aber damit hat sich der Täter nicht aufgehalten. Entweder weil er nicht die entsprechenden Gerätschaften zur Verfügung hatte oder …«
»Weil dazu keine Notwendigkeit bestand«, beendete Hunter den Satz. »Er wusste ja, dass das Opfer innerhalb weniger Stunden, vielleicht Minuten, tot sein würde. Er wollte bloß verhindern, dass er zu viel Blut auf einmal verliert und ihm sofort wegstirbt.«
»Dem würde ich zustimmen«, sagte Hove. »Die Füße wurden definitiv als Erstes amputiert. Der Täter hat den Stumpf mit einem Kompressionsverband aus Mull umwickelt, der von einem elastischen Fixierstrumpf gehalten wurde. Saubere Arbeit.«
»Sauber im Sinne von professionell?«, fragte Garcia.
»Das muss man wohl so sagen, ja. Aber vorher hat er die Wunden
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