Totenkuss: Thriller
kurz angebunden. »Da war
keiner. Wenn da einer gewesen wäre, hätte ich ihn sehen müssen. Ich war damals
im Garten und habe den Rasen gemäht. Warum fängt sie nur immer wieder davon
an?«
»Was für ein Geruch?«, fragte Elisa.
»Rasiercreme«, meinte Margarete.
Rasiercreme. Elisas Herz klopfte bis zum Hals. Sie stieß
einige unkontrollierte Gluckser aus. Sie hatte immer geglaubt, der Arzt, der
sie wiederbelebt hatte, hätte nach Rasiercreme gerochen. »Dann kann ich ihn
möglicherweise identifizieren.«
»Wie meinst du das?« Margarete wurde blass.
»Es roch nach Rasiercreme. Sanita Rasiercreme.«
»Kannst du uns das erklären?«, erkundigte sich Hermann.
Elisa konnte, aber sie wollte nicht. Sie hatte die Marke
schon vor Jahren herausgefunden.
»Das kommt gar nicht in Frage.« Margarete schüttelte den
Kopf. »Wir werden diesen komischen Diego nicht in unser Haus einladen, damit
Elisa an ihm schnüffelt.«
»Wie heißt der Ausbrecher überhaupt richtig?«, wollte Elisa
wissen.
Margarete stutzte. »Das hat mir Oma Irmtraud nicht gesagt.
Ich glaube, sie wollte nicht, dass wir wissen, von wem sie spricht.«
Sie schalteten den Laptop an. Zwei Minuten später war der
Artikel gegoogelt.
»Gefährlicher Serienmörder auf der Flucht«, las Margarete.
»Nach Olaf Hahnke wird international gefahndet. Weiterhin erhebliche
Sicherheitslücken in der Vollzugsklinik auf dem Hohenasperg. Justizministerium
räumt Panne ein.«
»Lies weiter«, bat Hermann.
Margarete las bis zu der Stelle, an der es dann plötzlich
unerträglich wurde: »2005 ist Olaf Hahnke für drei Sexualmorde, die er 1994,
1999 und 2003 verübt hat, zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Auf
Campingplätzen in Bayern und am Bodensee hatte er drei junge Frauen sexuell missbraucht
und getötet, die zum Teil mehrfach körperlich und geistig behindert waren. Weil
er seine Opfer zudeckte, nannte man ihn auch den Mantelmörder.«
»Nein!«, schrie Elisa. »Nein, nein, nein!«
Margarete nahm sie in den Arm, aber Elisa strampelte sich frei.
Sie hatte Schaum in den Mundwinkeln und ihre Augen funkelten wild und böse.
»Das hast du nun davon«, sagte Hermann zu Margarete, »dass du
ihr dieses Lumpenzeugs erzählst. Man sollte dir den Rost runtertun. Hättest du
die Wahngebilde deiner Mutter nicht für dich behalten können?«
»Ich weiß nicht«, sagte Margarete, die wieder am Laptop saß.
Sie schaute sich das nichtssagende Foto an und las die Personenbeschreibung. »…
1,86 Meter groß, schlank, sportlich … durchtrainiert … ovales
Gesicht … dichte blonde Haare – na ja – und blaue
Augen. Keine Brille, keine unveränderlichen Kennzeichen … volltönende,
tiefe Stimme … mit schwäbischem Einschlag … Olaf Hahnke hat sich bei
seiner Flucht möglicherweise verletzt. Durch den Sprung in die Tiefe kann es zu
Schürfungen, Prellungen oder Knochenbrüchen gekommen sein, die insbesondere
seine Gehfähigkeit auffällig beeinträchtigen.«
»Und?«, fragte Elisa.
»Verletzt war er, glaub ich, nicht. Er fuhr ja Fahrrad. Aber
sonst passt alles. Und vom Foto her könnte er’s sein, wenn man sich mal
Dreitagebart und Glatze wegdenkt.«
»Bart und Glatze. Wie Ludger«, sagte Elisa.
Hermann kratzte sich an der Schläfe. »Wir sollten uns nicht
verrückt machen. Margarete! Die Sache ist doch klar. Deine Mutter liest die
Zeitung, sieht das Foto, dann kommt der Freund von Ludger vorbei, dieser
Diego – und schon ist’s geschehen. Irmtraud hat eine neue
Verschwörungstheorie, und im Zentrum steht natürlich mal wieder die Aufklärung
von Elisas Unfall.«
*
Handle widd? Soddsch idd liaber fuaßle? [8] In der Nacht zum Freitag war Rosa Fix ins Kreiskrankenhaus eingeliefert worden.
Mit Angina Pectoris, Schlaf-Apnoe, Asperger, einem anaphylaktischen Schock und
einem beginnenden Posttraumatischen Stresssyndrom war sie aus einem Alptraum
hochgeschreckt. Spontan hatte sie mit dem Handy, das neben ihr auf dem
Nachttisch lag, die Feuerwehr gerufen. Die 110 war ja, wenn die Qual aus dem
Innern drang, unzuständig, also 112. Sie meldete einen Brand und hatte auch
tatsächlich einen. Ehe die Einheit anrückte, trank sie einen halben Liter
frisches Quellwasser und packte notdürftig. Unter lautem Klagen, Fluchen,
Schnaufen und Beten raffte sie Nachthemd, Morgenmantel, Wäsche,
selbstgestrickte Socken, Kulturbeutel, Mäppchen und Kladde zusammen und stopfte
alles mit mehreren Büchern und
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