Totenkuss: Thriller
dunkel, aufrecht. Ganz der
Vater, das Abbild vom Karle. Da war sie schon mit diesem baumlangen
Erfolgsautor zusammen, der jetzt in eurem Garten, wie soll ich sagen …
Damals war das natürlich noch kein Literaturstar, sondern ein ganz billiger
Lohnschreiber vom Schwarzwälder Merkur.«
»Udo Winterhalter. Er ist mein Vater.« Julia schluckte.
»Zumindest glaube ich das. Er hat mich nie anerkannt.«
»Tragisch.« Rosa seufzte. »Damit du’s recht verstehst, ich
will nichts gesagt haben. Und ihr habt nochmal Glück gehabt, gell. Wenigstens
ist bei euch keiner Amok gelaufen. Man war ja verwandt! Ein Familiendrama
interessiert die Leute viel weniger, die denken sich, man wird schon einen
Grund gehabt haben.«
»Quatsch!«, rief Julia, zog die Hand zurück und sprang hoch.
»Wir haben nichts damit zu tun. Das waren Auswärtige, die ihn auf der Terrasse
abgeknallt haben. Irgendwelche Stalker. Oder Leute von der Konkurrenz. Er war
berühmt, Mensch. Sie werden doch wegen ihm nicht im Internet rumschnüffeln? Es
ist genau drei Wochen her. Die Untersuchungen sind noch nicht abgeschlossen.
Mein Vater ist noch nicht mal unterm Boden …«
»Mach halblang.« Rosa schüttelte den Kopf. »Natürlich mische
ich mich da nicht ein. Ich vertraue auf Gottes Gerechtigkeit. Und auf meinen
Bruder Karle. Himmel Stuegert! Erst dieser Ossi Oswald, liegt tot auf dem
Terroristengrab. Genickschuss. Dann das Udole, mit dem Hirn in Claudis
Radieschen. Von Baader, Ensslin und Raspe nach Mariabronn ist es kein weiter
Weg. Von wegen Ehrenmord, da steckt die Stasi dahinter, ist doch von jeher
alles Stasi gewesen, was beim roten Karle ein und aus ging.«
»Meine Mutter hatte einen Nervenzusammenbruch«, sagte Julia
und lief davon.
Rosa öffnete das Google-Portal. In ihrem Gehirn fügten sich
nach und nach die Teile des Puzzles zusammen. Als Petra Clauss wie vom Erdboden
verschluckt war, hatte Rosa in der Rechtsmedizinischen gearbeitet. Bis zur
Rente waren es Jahre hin. Auch Tiberius war noch da und einige andere, die 1959
Opfer von Heinrich Pommerenke obduziert hatten. Doch niemand war auf die Idee
gekommen, das Schicksal des vermissten Mädchens könnte mit der damals genau 25
Jahre alten Mordserie zu tun haben. Und als zehn Jahre später, am 1. August
1994, Roswitha Mayers Leiche gefunden wurde, waren Tiberius und sein Team schon
längst nicht mehr am Platz. Im Internet lodert das Fegefeuer, dachte Rosa, bis
in alle Ewigkeit repräsentiert es die Gegenwart Gottes des Allmächtigen. Das
Netz weiß und sieht auf Mausklick alles, und wir schämen uns für das, was wir
verpennt haben. Herr, ich bin nicht würdig, dass du eingehest unter mein Dach.
Aber sprich nur ein Wort, so wird meine Seele gesund. Sie gab als ersten
Suchbegriff ein: ›Mantelmörder 1994 Alpsee‹.
*
›Martin! Du bist auserwählt vom Heiligen Gral
und kannst ein Ritter werden. Du musst aber noch zeigen, ob Du stark genug
bist. Wenn Du Dich traust, komm am Ostermontag um drei zur Hütte oben an der
Schafweide. Dort machen wir eine Mutprobe. Bring ein Lamm mit und ein scharfes
Messer. Dies ist ein Befehl des Königs, überbracht von seinem Ritter Olaf.‹
Fehrle stierte auf einen Zettel, den er vor zwei Jahren im
Nachlass von Petra Clauss sichergestellt hatte. Zusammen mit anderen Relikten
aus der damaligen Ermittlung bewahrte er ihn in einer Schachtel in seinem Büro
auf. Nach dem Gespräch mit Barbara war er gleich nach Stuttgart gefahren, um
die zuständigen Kollegen im Polizeipräsidium am Pragsattel zu informieren und
den Bericht zu schreiben, der dann ans LKA weitergeleitet wurde. Umgehend waren
zwei Beamtinnen des Landeskriminalamts zu Irmtraud Haselbacher geschickt
worden, um sie als Zeugin zu befragen und das Beweisstück, den dunkelblauen
Pulli, in Empfang zu nehmen. Gleichzeitig wurde Ludgers Haus durchsucht.
Anschließend fuhr die Kriminaltechnik vor, um das Gelände rund ums
Gartenhäuschen abzusperren. Sachs sollte ebenfalls vernommen werden, war jedoch
bereits auf dem Weg in den Pfingsturlaub. Nach ihm wurde nun auch gefahndet,
obgleich keineswegs mit der gleichen Intensität wie nach Olaf Hahnke. Über die
Medien wurde er ohne Namensnennung aufgefordert, sich bei der Polizei zu
melden. Ihm wurde Straffreiheit in Aussicht gestellt, falls keine
Komplizenschaft, sondern ein Fall von Erpressung und Nötigung vorlag und er von
Hahnke bedroht wurde. Beamte aus Baden-Württemberg saßen bereits im
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