Totenkuss: Thriller
an der Adria war. In Tunesien. Da war er
schon überall gewesen. Im Krieg, an der Front, im Dreck. Alles ein Blutbad,
alles voll mit Partisanen. Ein Platz an der Sonne? Kein Bedarf. Aber sie:
Durchgebrannt. Mit seinem Geld.
»Ich muss nach ihr gucken«, sagte Marthel, die sich im Leben
noch nie um Rosa geschert hatte.
»Von mir aus. Bloß nur nichts überstürzen. Und kabeln nützt
nix. Wenn sie sich bis Anfang nächster Woche nicht meldet, dann nimmst du ein
Taxi und fährst rüber.«
*
Mone wohnte mit den Kindern in einer großen
Fünf-Zimmer-Wohnung im dritten Stock. Ein Loch, dachte Ludger Sachs, der es
sich nicht vorstellen konnte, in einem düsteren Hinterhaus im Stuttgarter
Westen zu leben, mit lauter Leichen im Keller. Dabei befand sich die
Senefelderstraße in einer durchaus privilegierten Lage: zentrumsnah und in
unmittelbarer Nähe zum Feuersee. Und man hörte im Hinterhaus viel weniger vom
Autolärm. Der Verkehr war beträchtlich. Erst hatte Ludger das Ding ums Eck
parken wollen, aber keine Lücke gefunden; nun stand er in der Hofeinfahrt.
Unten drin waren Gewerberäume mit einer Doppelgarage und einem sehr dezenten
lilafarbenen Schaufenster. Links und rechts blühten in enormen Terrakottakübeln
Fliederbüsche. Darüber stand in großen schwarzen Metallbuchstaben:
›Bestattungsunternehmen F. Fix & Söhne‹. Der Betrieb, der zu einer
florierenden Kette aus Freudenstadt gehörte, besaß zwei violette Opel. Beide
Leichenwagen waren unterwegs.
»Überraschung!«, rief Ludger. Noé und Lucy durften die Augen
aufmachen. Vor ihnen stand ein älteres, mittelgroßes Wohnmobil. Es war beige
und hatte braune Zierstreifen.
»Schweinegeil«, fand Noé.
»Geliehen?«, fragte Lucy.
»Hoffentlich hält die Kiste durch«, meinte Mone. »Nehmt die
Zelte trotzdem mal mit. Dann könnt ihr das Ding in jeder beliebigen
Reparaturwerkstatt zurücklassen. Motorschaden. Kupplung am Arsch. Wäre nicht
das erste Mal, dass sowas passiert.«
Nachdem sie alle Schubladen und Schränke aufgerissen hatten,
warfen die beiden Mädchen die Rucksäcke ins Eck und verabschiedeten sich von
ihrer Mutter.
Ludger ließ den Motor an. »Ihr könnt hinten oder vorn sitzen,
dort ist Platz für drei.«
Sie entschieden sich für vorn und winkten Mone, die mit
kleinen Schritten durch den baumlosen Hof ging. Sie winkte zurück und ging
dabei rückwärts auf den Hauseingang zu.
Ludger bog ab in die Rotebühlstraße und fädelte sich in den
Verkehr ein. Der Wagen fuhr sich nicht schlecht, auch wenn man sich an die Maße
gewöhnen musste. Ludger verfluchte sich, dass er darauf bestanden hatte, gleich
am Freitagnachmittag loszufahren, denn das taten offenbar alle. Der
Feierabendverkehr staute sich im Kessel. Die Stadt war rappelvoll. Im
Schneckentempo ging es vorwärts. Stop and go von Ampel zu Ampel. Nach einer
Dreiviertelstunde waren sie endlich auf der Autobahn. Ludger machte den
Verkehrsfunk an, der hohes Verkehrsaufkommen auf der A 81 meldete und
zähflüssigen Verkehr bis Sindelfingen. Dann wurde es allmählich ruhiger.
Die Mädchen hörten Musik auf ihren iPods und schwiegen.
Ludger tankte und kaufte für sich eine kalte Cola. Weder Noé noch Lucy tranken
süße Limonaden. Sie hatten Eineinhalbliterflaschen mit ungezuckertem Eistee mit,
die sie wie Puppen auf dem Schoß hielten. Im Wohnmobil war es trotz der offenen
Fenster schwül und stickig. Es gab keine Klimaanlage. Am Himmel brauten sich
Wolken zusammen, als gäbe es gleich ein Gewitter, aber hinter Rottweil kam die
Sonne wieder durch. »In Italien ist es derzeit viel kälter als bei uns«, sagte
Ludger. »Es ist wechselhaft und regnet. Vielleicht sollten wir hier bleiben.«
»Aber ich bin in Bardolino verabredet«, rief Lucy und zog
sich einen Stöpsel aus dem Ohr, »spätestens am Montag treffe ich mich dort mit
Bonnie.«
»Heute ist Freitag«, sagte Ludger. »Und es ist schon spät.
Bis wir am Bodensee sind, ist es bald Zeit für das Abendessen.«
»Du übertreibst«, meinte Noé. »Aber du hast recht. Es bringt
keine Böcke, mitten in der Nacht völlig tot in Italien einzulaufen.«
An diesem blöden Gardasee, an den wir nur fahren, weil Lucy
dort ihre Freundin treffen will, die sie in der Schule jeden Tag sieht, dachte
Ludger. Er wäre lieber an den Lago Maggiore gefahren, stellte er verstimmt fest
und war überrascht, wie schnell er sich über solche Bagatellen wieder ärgern
konnte. Eigentlich war es doch egal,
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