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Totenkuss: Thriller

Totenkuss: Thriller

Titel: Totenkuss: Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uta-Maria Heim
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Fluchtversuche. Barbara seufzte. Sie fühlte sich wütend und
hilflos. Und sie schämte sich für ihre immer deutlicher ins Bewusstsein
dringenden Zwangsvorstellungen. Gerade jetzt wieder malte sie sich aus, wie sie
ihm, wenn er zahnlos und mit offenem Mund schlief, das Kissen aufs Gesicht
drückte. Weiche Bedeckung. Würde er sich aufbäumen und um sich schlagen? Oder
wäre da nur ein Jaulen und ein Kratzen der Finger durch die Luft? Sie würde
weitermachen, bis der Widerstand nachließ und der Körper des Vaters
erschlaffte. Vielleicht konnte sie es jetzt machen, jetzt gleich. Sie würde es
hinter sich bringen und den Arzt holen. Sie würde ihm sagen, sie habe den
Vater, als er im Sterben lag, gefunden, und es sei gewesen, als habe sein
letzter Atemzug ihre Wange gestreift.
    Sie war entschlossen, es diesmal zu tun. Doch als Barbara die
Schlafzimmertür aufmachte, war sein Bett leer. Die Decke war zurückgeschlagen,
das Bett besudelt. Auf dem Boden lag der schmutzige Schlafanzug. Manfred hatte
eingekotet. Der Gestank war beißend.
    »Vater? Bist du da?« Sie ging zum Fenster und riss es auf.
Draußen fuhr ein Auto vorbei, und sie rief nochmals lauter. Keine Antwort. Weit
konnte er nicht gekommen sein, denn neben dem Bett stand der Rollstuhl, und
Manfred schaffte es zu Fuß höchstens bis ins Bad und auf die Toilette.
    »Vater, wo bist du denn?« Barbara rannte übern Flur, öffnete
nacheinander Bad- und Klotür, nichts. Vielleicht war er in die Küche gegangen,
weil er das Malheur auf seinem Betttuch beseitigen wollte, und unterwegs
gestürzt. Aber wie war er ohne Lift die Stiegen runtergekommen? Barbara nahm
zwei Stufen auf einmal und riss die Küchentür auf. Der Kühlschrank brummte. Die
Uhr tickte und schlug halb. Es roch nach Brei und fauligen Bananen.
    Am Ofenrohr baumelte Manfred. Er trug seinen Hochzeitsanzug.
Mit einem Stromkabel hatte er sich im Stehen erhängt, indem er sich die
Schlinge um den Hals legte und sich dann seitlich wegrutschen ließ. Sein
lebloser Körper hing in der Luft, die Beine schleiften am Boden. Seine Augen
traten hervor, die Pupillen waren von einem stumpfen Film überzogen und glasig.
Vorwurfsvoll stierte der Vater Barbara an und zeigte ihr die Zunge. Auf dem
Küchentisch lag, mit einem stumpfen Bleistift auf einen Einkaufszettel
geschrieben, sein Abschiedsbrief: ›Bin stiften gegangen. Sei immer artig zu Deiner Mutter.‹  
     
     
     
    I’m
the most terrific liar you ever saw in your life. It’s awful.
    J. D.
Salinger,
    The
Catcher in the Rye
     

Pfingstsonntag, 11. Mai – Mamertus
    Mamertus [11]
    # Glatt gelogen

     
    Nach Mitternacht war Elfriede
Dutschke immer noch nicht zurückgekehrt. Im Hotelzimmer war es kühl und zugig.
Leise wehte der Vorhang. Das Radio
lief und brachte italienische Schnulzen. »Via, via vieni via con me / entra in
questo amore buio …« Bonnie Wolkenstein lag auf ihrem Couchbett und
simste. Lucy hatte ihr mitgeteilt, dass ihr Vater nun doch mit ihr und Noé in
die Toskana gefahren sei. Sie seien gerade eben angekommen. Jemand sei in ihr
Ferienhaus eingebrochen, denn da sei eine Scheibe kaputt. Paolo Conte wurde von
einer jungen Frauenstimme mit Südtiroler Akzent unterbrochen: »Achtung,
nochmals eine dringende Suchmeldung aus Deutschland. Die dortige Polizei bittet
um Mithilfe. Vermisst wird seit Freitag der 43-jährige Lehrer Ludger Sachs aus
Stuttgart. Nach ihm wird als Zeuge in einer wichtigen Strafsache gefahndet.
Möglicherweise befindet er sich zusammen mit seinen beiden Töchtern Lucy und
Noé in Italien. Geplant waren Ferien am Gardasee. Wer den Aufenthaltsort von
Ludger Sachs kennt: Bitte melden Sie sich bei der nächsten Polizeidienststelle.
Oder hier bei Radio Azzurro: Telefon …« Auf die Nummer folgte die gleiche
Ansage auf Italienisch.
    »Dein Vater wird gesucht«, simste Bonnie. »Er soll sich bei
der Polizei melden.«
    Lucy antwortete nicht. Vielleicht hatte sie ihr Handy
ausgeschaltet, oder sie war sofort ins Bett gegangen und schlief schon.
Ärgerlich. Bonnie hätte Lucy gern getroffen. Sie wollten zusammen in den
eiskalten See hinausschwimmen und hinterher in der prallen Sonne ein Eis essen.
Nun kam Lucy nicht, und es pisste schon den ganzen Abend. Bonnie stand auf und
schloss das Fenster. Es nieselte immer noch. Die regennasse Strandpromenade
glänzte im Schein der Gaslaternen. Kein Mensch war unterwegs. Im Zimmer nebenan
stritten sich Schwaben. Bonnie horchte. Dann

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