Totenmal
meinen Rat abgeschlossen hat. Er hat sich übervorteilen lassen. Es gab keinen Grund, seinen, ja unseren Anteil auf so ein erbärmliches Almosen kürzen zu lassen. Ja, ⺠unseren Anteil⹠sage ich mit Recht. Ich habe mit meiner Hände Arbeit jahrzehntelang in seiner Praxis mitgeholfen. Man ist mir von Anfang an nur mit Misstrauen und, was noch viel schlimmer ist, mit Missachtung begegnet. Wer kann mir vorwerfen, dass ich mich zurückgezogen habe?«
»Dürfen wir Ihnen helfen, die Unterlagen zusammenzusuchen und wieder einzuheften? Ich schlage vor, wir stapeln das einfach auf dem Sofa neben Ihnen, ja?«, sagte Malbek.
Sie sprang auf, als habe sie darauf gewartet.
Lüthjes Blick fiel auf ein paar Fotos, die, in Lederrahmen gefasst, auf einer Anrichte standen. Sie zeigten einen jungen Mann, der seiner Mutter sehr ähnlich sah. Der Sohn, der in Göttingen Medizin studierte. Man sah den Studiosus nur solo oder mit männlichen Studienfreunden. Frauen schienen in seiner Welt nicht zu existieren. Oder er verbarg sie vor seinen Eltern. Lüthje entschied sich, eine Frage nach dem Sohn erst nach dieser vielleicht therapeutisch wichtigen Phase des gemeinsamen schweigenden Papieraufsammelns zu stellen.
Nach ein paar Minuten suchte Lüthje Malbeks Blick, hob den Daumen und zeigte danach auf die oberste Seite des Stapels in seiner Hand. Nach weiteren zwei oder drei Minuten hatten sie es geschafft. Drei Aktenordner und vier Stapel DIN - A4 -Blätter lagen auf einem Beistelltisch. Lüthje und Malbek hatten ein paar Unterlagen bei sich behalten.
»Haben Sie Ihren Sohn schon angerufen?«, fragte Lüthje, nachdem Malbek und Frau Kleemann sich gesetzt hatten. Er stand wieder neben dem Kamin.
»Er hat sich nicht gemeldet!«, sagte sie pikiert. Sie machte plötzlich einen erschöpften Eindruck.
»Sie meinen, er hat Ihren Anruf nicht entgegengenommen?«, fragte Lüthje.
»Ich habe auf seinen Anrufbeantworter gesprochen!«, sagte sie. Und setzte nach einer Denkpause, in der sie ihren linken Unterarm betrachtete, hinzu: »Er schläft gern lange.«
»Er studiert in Göttingen Medizin?«
»Was Sie alles wissen â¦Â«, sagte sie und lieà ihren Arm auf den rechten Oberschenkel fallen.
»Er wohnt in Göttingen?«, fragte Malbek.
»Ja, natürlich, was dachten Sie denn?«
Malbek raschelte mit dem Papier, das er in der Hand hielt. Lüthje hatte verstanden.
»Frau Kleemann, ich habe hier einen Vertrag gefunden, in dem es um die Modernisierung und gemeinschaftliche Nutzung eines Mietwohnhauses in Leipzig geht. Obendrüber steht einfach: âºTreuhandvertragâ¹. Und weiter unten steht etwas von âºNachschüssen für Verzinsung und Tilgungâ¹. Sie sprachen vorhin von einer Geschichte, die Sie und Ihren Mann in den Ruin treiben würde. Meinten Sie vielleicht dieses Papier?« Malbek wedelte damit herum und wartete einen Moment, ob sie es nehmen wollte.
»Achtundachtzigtausend Euro sollen wir zuschieÃen «, sagte sie lebhaft. Ihre Erschöpfung war plötzlich verflogen. »Statt etwas daran zu verdienen. Gewinn ist uns versprochen worden. Das Doppelte dieser Summe. Jetzt müssen wir diese Summe zuschieÃen. Und das ist nicht das erste Mal. Schon vor ein paar Jahren war das so. Da waren es nur zweiundvierzigtausend Euro. Stellen Sie sich das vor. Das ist doch Betrug. Ich hab es damals schon geahnt!«
»Der Vertrag ist aber auch von Ihnen unterschrieben worden.« Malbek hielt ihr die Unterschriftsseite des Vertrages hin.
»Ja, aber die Unterschrift habe ich ja nicht freiwillig geleistet! Dagobert hat mir doch gesagt, es wäre dumm, es nicht zu tun. Und ich würde die Hälfte vom Gewinn abbekommen. Er hat mich betrogen. Mein eigener Mann hat mich betrogen.« Ihre Schultern zuckten. »Wenn ich nicht unterschrieben hätte, hätte er mir für jeden fehlenden Cent in unserem Haus die Schuld zugeschoben. Weil wir ja so gut an dieser Investition verdient hätten. Und wir würden uns lächerlich machen, hat er gesagt, wenn wir nicht mitziehen würden. Ja, âºmitziehenâ¹ hat er gesagt! Seine Kollegen in der Praxis würden das auch mitmachen. Aber das war gelogen. Ich hab damals ja noch mitgearbeitet in der Praxis und nachgefragt. Gelogen war das. Die haben das abgelehnt. So war das. Ich stelle das hiermit klar! Weil mein Mann mir immer die Schuld an dieser Katastrophe
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