Totenmal
Sie musste die Bühne betreten und sich als Zeugin der Anklage zur Verfügung stellen. Und jeder würde ihrem Gerechtigkeitssinn Hochachtung zollen. Zuerst zögernd und dann doch, auch wenn sie den Mann ihrer Schwester ins Gefängnis brachte.
Sie arrangierte einen guten, unverfänglichen Grund für sich und ihren Geliebten Dagobert Kleemann, warum sie auf der Raststätte gewesen waren und alles gesehen hatten. Er hätte ihr dringend ein Schriftstück zeigen wollen, das für seinen Prozess gegen einen Vermögensfonds von Bedeutung sein konnte. Das war auch nicht ganz unrichtig. Da sie einen Termin in Neumünster gehabt hatte, hatten sie sich auf der Raststätte »Hüttener Berge« hinter der Rendsburger Hochbrücke getroffen. Es war nicht der Grund für ihr Treffen, aber der Rest stimmte ungefähr.
Aufgrund der Presseberichte über den Prozess hatte sich ein weiterer Zeuge nach langem Zögern noch rechtzeitig bei der Staatsanwaltschaft gemeldet, der Spediteur Peter Arens, der damals ein Interesse an der Ãbernahme der günstigen Lkw-Leasingverträge seines Konkurrenten Benny Rathke hatte. Das hatte er damals vor Gericht auch als Grund für sein Zögern ausgesagt, der Konflikt zwischen Rechtstreue und Geschäftinteresse habe ihn so lange zurückgehalten, bis er begriffen habe, dass das eine das andere nicht ausschlieÃen würde.
Das Gericht hatte ihn für glaubwürdig gehalten. Er hatte mit seinem Lkw auch auf der Raststätte geparkt und kam gerade vom Essen zurück, als er Benny zwischen den Lastwagen hervortreten sah, den Hammer noch in der Hand. Peter Arens legte dem Gericht sogar die Quittung der Raststätte vor, über ein Schnitzel in PilzrahmsoÃe und ein alkoholfreies Bier.
Benny wurde schlieÃlich zu neun Jahren und fünf Monaten Freiheitsentzug verurteilt.
Ein paar Monate nach Bennys Haftantritt passierte dann auch noch die Sache mit dem Kind. Andrea hatte Bennys Kind zur Welt gebracht, eine Tochter. Sie hatten damals Einladungen verschickt, auch an Laura. Sie kam mit Knut. Den Namen des Kindes hatte Laura vergessen. Zur kirchlichen Taufe hatte Benny Hafturlaub bekommen, mit Bewachung. Als Andrea Laura Vorwürfe machte, sie sei an dieser Situation schuld, verlieà Laura mit Knut die Feier. Mit Benny hatte sie kein Wort wechseln können.
Danach hatte Andrea einen anderen Mann kennengelernt, von dem sie Benny nichts gesagt oder geschrieben hatte. Das sei ganz allein ihre Sache, hatte sie Laura gesagt. An einem heiÃen Sommertag hatten sie ein Open-Air-Konzert besucht und die Kleine im Wagen liegen lassen. Als sie zurückkamen, war sie erstickt. Andrea bat Laura, sie und den Mann in dem Strafprozess wegen fahrlässiger Tötung als Anwältin zu vertreten.
Laura lehnte ab.
Das war das Ende ihrer Schwesternbeziehung.
Irgendwann hatte Laura in der Geschäftsstelle des Gerichts unauffällig herausgefunden, dass die Ehe zwischen Andrea und Benny geschieden worden war. Benny war durch einen Pflichtanwalt dabei vertreten worden. Vom Tod seiner Tochter hatte er sicher auch erfahren. Laura verspürte in dieser Zeit groÃes Verlangen, Kontakt zu ihm aufzunehmen, ihn sogar im Gefängnis zu besuchen. Aber sie hatte sich beherrschen können.
Sie war gestern Abend dort drauÃen in der Einöde gewesen. Im Dunkeln vorbeigefahren. Sie hatte sich gefragt, wo er sich verstecken würde. In einer Stadt mit vielen Menschen oder in der Einsamkeit. Und da war es ihr klar geworden. Er war immer einsam gewesen und war es jetzt auch bei seinem Rachefeldzug, einsamer als je zuvor.
Andrea hatte er sicher nie von diesem Versteck erzählt. Er hatte ihr nie getraut, und Laura wusste, dass sie jetzt schon längst der Polizei davon erzählt hätte, wenn sie davon wüsste.
Die Einzige, die davon wusste, war sie, Laura. Benny hatte damals begriffen, dass sie, Laura, genauso einsam war wie er. Deshalb war er mit ihr dorthin gefahren, und sie hatten die schönste Nacht ihres Lebens erlebt. Sie hatten ihre nassen Kleider auf den Holzofen gelegt, bis sie dampften, er hatte auf seiner Klampfe gespielt und ein Lied gesungen, das er selbst komponiert hatte. Sie hatte nackt vor ihm getanzt, und dann hatten sie sich geliebt.
Sie schloss ihr Tagebuch und legte es in den Umschlag und schrieb Andreas Namen und Adresse darauf. Dann legte sie den Umschlag in ihre Schreibtischschublade, verschloss sie und steckte den
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