Totenmal
gewesen, wenn der erste Zeuge gegen ihn und der zweite Zeuge für ihn ausgesagt hätte. Dann wäre ich das Zünglein an der Waage gewesen, das den Ausschlag gegeben hätte. Aber so war es nicht.«
»Glauben Sie, dass Benny Rathke in diesen Kategorien denkt? Der Mann ist kein Jurist, sondern Spediteur gewesen!«
»Wie jemand denkt, kann man aus seinem Beruf nicht ableiten. Das sind nur Spekulationen, Herr Malbek.«
»Ich erinnere mich an eine Formulierung, die ich oft als Zeuge vor Gericht gehört habe, âºdie allgemeine Lebenserfahrungâ¹.«
»Von dieser Weisheit habe ich nie etwas gehalten. So etwas hört man auch an Stammtischen.«
Ein harter Knochen, dachte Malbek. »Wissen Sie, wo Benny Rathke sich versteckt?«
»Nein. Ich hätte es Ihnen längst gesagt.«
»Könnte Ihre Schwester wissen, wo er sich aufhält?«
»Fragen Sie sie selbst. Ich habe keinen Kontakt zu meiner Schwester.«
»Wann haben Sie zuletzt mit Ihrer Schwester gesprochen?« Lüthje war schon unterwegs zu ihr. Ohne Vorankündigung.
»Ich weià nicht, was in der Strafprozessakte stand, die Sie sicher gelesen haben, aber â¦Â«
»Welche Strafprozessakte meinen Sie?«, unterbrach er sie.
Sie lächelte gütig. »Die Akte Benny Rathke. Ich weià nicht, ob etwas von dem Vorfall in das Protokoll aufgenommen wurde, aber meine Schwester hat mich nach meiner Aussage ausgiebig und lautstark beschimpft.«
»Was hat sie gesagt?«
»Sie hat geschrien. Ich sei ein âºRechtsmonsterâ¹, was immer das nun sein mag. Und das war noch die netteste Beschreibung meiner Person.«
»Liest Ihre Schwester Zeitung? Oder hört sie Radio?«
Sie lächelte genüsslich. »Woher soll ich das wissen?«
»Und wann haben Sie Benny Rathke das letzte Mal gesehen?«
»Na, auch an diesem Tag der Zeugenvernehmung â¦Â« Sie hielt inne und sah mit zusammengekniffenen Augen und gerunzelter Stirn auf einen imaginären Punkt am Ende der Schreibtischplatte.
»Was ist?«, fragte Lüthje.
»Mir ist gerade eingefallen ⦠dass ich Andrea und Benny doch ⦠Entschuldigen Sie â¦Â« Sie sah ihn irritiert an. »Ich hatte das verdrängt. Es stimmt, was ich eben sagte, dass ich meine Schwester zuletzt im Gerichtssaal gesehen habe. Tut mir leid â¦Â«
»Kann passieren«, sagte Malbek. War das jetzt gespielt, oder war ihr wirklich dieser Fehler passiert?
»Es war bei der Taufe. Andrea hatte eine Tochter bekommen von Benny. Ich nehme an, Sie wissen das auch schon.«
Er nickte. »Erzählen Sie mir von der Taufe. Wieso hat Ihre Schwester Sie dazu eingeladen? Ich habe Sie so verstanden, dass es im Gerichtssaal zum Bruch zwischen Ihnen gekommen ist.«
»So war es auch. Ich war sehr überrascht, als ich die Einladungskarte bekam. Ganz formell. Und geschmackvoll gestaltet. Ich habe sie meinem Mann gezeigt, und er wollte mitkommen. Er ist von Natur aus neugierig, wissen Sie?«
Malbek nickte freundlich. »Wie Männer eben so sind.«
»Die Einladung war kein Angebot zur Versöhnung. Sie wollte mir vorführen, was ich angerichtet habe. Als wir uns vorsichtig begrüÃten, sagte sie mir im eiskalten Ton, dass Benny ein paar Stunden Hafturlaub bekommen hat und er von Bullen, so hat sie sich ausgedrückt, begleitet sei. Sie hat auf ein paar zivil gekleidete Männer unter den Gästen gezeigt. Die würden ihn gleich nach der kirchlichen Taufe wieder in seine Zelle zurückbringen. In einem vergitterten Wagen. Er dürfe nicht am Taufessen teilnehmen. Und das war das Letzte, was ich von ihr seitdem gehört habe. Verstehen Sie? Die Einladung war nur dazu da, mir vorzuführen, was ich mit meiner Aussage angerichtet hatte: Der arme Benny wird gleich wieder abgeführt. Vor den Augen seiner Tochter. Das ist dein Werk, böse Schwester.«
»Sie ist nicht zu familiären Anlässen gekommen, oder ist sie nicht eingeladen worden, ich meine, von Ihrer Familie?«
»Es gab ein paar Beerdigungen, ersparen Sie mir, die aufzuzählen, dazu war sie eingeladen worden, ist aber nie erschienen.«
»Auf welchen Namen wurde das Kind getauft?«
»Das weià ich nicht mehr.«
»Waren Sie bei der Taufe dabei?«
»Ja. Natürlich. Aber danach sind wir nach Hause gefahren.«
»Und Benny? Haben Sie ihn gesprochen?«
»Nein. Er hat uns nicht einmal
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