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Totenmal

Totenmal

Titel: Totenmal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Lykk
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anderswo über diese längst beendete Beziehung zwischen Arzt und Anwältin? So etwas war immer ein gefundenes Fressen in diesen Kreisen. Oder steckte hinter Kohlmorgens Mitteilung noch etwas ganz anderes?
    Mitten in diese Gedanken hinein war der Anruf aus Kiel gekommen. Besser, als wenn man sie auf der Straße angesprochen hätte – oder jemand von denen hätte in der Kanzlei gestanden und sie sofort sprechen wollen. Jetzt war sie vorbereitet und konnte sich emotionslos geben.
    Wieso hatten die erst jetzt entdeckt, dass die beiden Opfer Zeugen in dem Prozess gegen Benny gewesen waren? Und sie die dritte Zeugin? Aber vielleicht war das gar nicht der Ansatzpunkt gewesen. Vielleicht hatte jemand gesagt, dass Dr. Kleemann vor Jahren eine Geliebte hatte. Und dass die dahintersteckte. Seine Frau? Nein, Gertraut war immer dumm wie Bohnenstroh gewesen. Anders konnte es gar nicht sein.
    Ein Kriminalhauptkommissar Malbek würde sie heute im Büro aufsuchen. Es war ihr lieber, das Gespräch im Büro zu führen als zu Hause. Hier hatte sie die nötige Distanz und würde nicht Fakten mit Gefühlen vermischen. Diese Leute hatten Schulungen besucht und Erfahrungen in Vernehmungstechnik. Sie können einen dahin bringen, wo sie einen haben wollen. Aber das würde ihr hier, hinter ihrem Schreibtisch, genauso wenig passieren wie im Gerichtssaal.
    Allerdings war es damals im Zeugenstand nicht einfach für sie gewesen. Die Richter hatten exzessiv in ihren Gefühlen gebohrt. Was sie alles über die Ehe ihrer Schwester mit dem Angeklagten wusste. Manchmal war sie fast abgerutscht und hätte vom Leder gezogen, was Andrea betraf. Sie hatte sich zusammengenommen. Aber Andrea war im Gerichtssaal ausgerastet. Nach der Urteilsverkündung stand Andrea von ihrem Platz auf und beschimpfte sie lauthals im Gerichtssaal als »verblendetes Rechtsmonster«.
    Denn auf die Frage des Gerichts, warum sie, Laura Bordevig, ihre Beobachtungen nicht sofort bei der Polizei zu Protokoll gegeben hätte, hatte sie geantwortet, dass sie in einem Konflikt stand, gegen ihren Schwager auszusagen, aber sich dann doch, als Anwältin, für das Recht entschieden hätte.
    Sie hätte sich das Protokoll ihrer Zeugenvernehmung gern durchgesehen, um ihre Fehler aufzuspüren und zu analysieren. Aber das war leider ausgeschlossen. Also musste sie sich den Hergang der Ereignisse von damals notieren und dann die Gefühlsanteile aus ihrem Gedächtnis streichen, wenn sie mit Malbek sprach.
    Sie rief in der Rezeption an und sagte, dass sie nicht gestört werden wollte, bis Herr Malbek eintreffen würde. Auf ihrem Tisch lagen einige Akten auf Termin, Schriftsätze, die rechtzeitig bei Gericht eingehen sollten. Das musste jetzt warten. Sie verschloss ihre Tür, um nicht mit dem Tagebuch ertappt zu werden, das sie sich gestern gekauft hatte. Sie hatte an sich etwas Seltsames bemerkt. Obwohl sich in ihr die Gewissheit festigte, dass das, was sie tat, richtig war, wurde sie von kurzen Angstattacken überfallen. Dieser Begriff war ihr in den letzten Jahren immer wieder in psychiatrischen Gutachten begegnet, ohne dass sie begriffen hatte, worum es wirklich ging. Gestern hatte sie im Internet zu diesem Stichwort einiges gelesen. Es seien plötzlich grundlos auftretende Panikanfälle. Das stimmte ihrer Meinung nach nicht ganz. Den Grund für die Panikattacke suchte sich der Verstand nachträglich. Und alles nur, weil eine verdrängte Angst das Bewusstsein mit vielen kleinen giftigen Ablegern befiel und zerfraß.
    Heute Morgen glaubte sie, am Boden ihres Zahnputzglases Spuren eines weißen Pulvers gesehen zu haben. Sie hatte es ausgespült, und trotzdem blieb ein Rest des Pulvers im Glas. Nach dem vierten Spülen gab sie den Kampf auf und warf das Glas in den Mülleimer in der Küche. Sie nahm sich ein neues Glas und sah angstvoll hinein. Es war und blieb sauber. Knut konnte es nicht gewesen sein. Er konnte die zwei Sicherheitsschlösser und den verdeckten Sicherheitsriegel nicht unbemerkt überwinden.
    Würde sich ihr Bewusstsein selbstständig machen? Von ihrem Ich lösen und ihr von irgendwo außen befehlen, was sie zu tun und zu lassen habe? Nein, sie hatte die Fähigkeit, sich zu analysieren und zu korrigieren, wo es notwendig war. Sie hatte sich im Griff und wusste, was sie tat. Die Seiten des Tagebuches waren liniert. Das sollte sie daran erinnern, klar zu formulieren

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