Totenmesse
Lindberg hinüber, deren Augen wie ein Feldstecher auf Geirs Zwerchfell gerichtet waren.
Sie saÃen im Glaskäfig des örtlichen Filialleiters. Es war ziemlich eng. Die groÃbürgerlichen Bankdirektorenzimmer waren Vergangenheit. So wie hier sah es in einer Bank aus, die sich kürzlich aus dem Cyberspace materialisiert hatte. Als befände sie sich in einer Grauzone zwischen virtuell und wirklich.
»Manipulation an der Kabellage?«, sagte der Direktor der Andelsbank Haavard Naess auf Gemeinskandinavisch.
»Sicherheitsnetzwerkkabellage«, verdeutlichte Lena Lindberg, ohne sich zu verhaspeln.
Naess wandte sich an Geir, der in einer Geste des Nichtverstehens die Arme ausbreitete. Sie stand ihm schlecht zu Gesicht.
»Nein, davon ist uns nichts bekannt«, übersetzte Naess.
»Sind Sie sicher, dass kein Geld verschwunden ist?«, fragte Sara Svenhagen.
Geir gurgelte. Naess dolmetschte: »Wir haben die sicherste finanzielle Firewall der Welt.«
»Gerade deshalb«, sagte Lena Lindberg.
Sara beobachtete sie. »Wir wissen, dass etwas geglückt ist«, sagte sie.
»Geglückt ist?«
»Den Räubern ist es geglückt, hier drinnen etwas durchzuführen. Mithilfe dieses Geräts an diesen Kabeln.«
Zwei Fotos. Eines für jeden der beiden Norweger. Nach einem kurzen Blick tauschten sie die Bilder.
Sara Svenhagen fuhr fort: »Das erste ist ein kompliziertes schraubenzieherähnliches Werkzeug, das aus einer Sonde und einem Mikrochip besteht, der den Mikrostromfluss verzögert. Das zweite ist eine Sicherheitsnetzwerkverkabelung. Ein paar der Mikrokabel sind mit einer sehr feinen Nadel durchstochen. Unsere fragliche Sonde ist eine sehr feine Nadel, die Mikrokabel durchstöÃt.«
Steingesicht erwies sich bei dieser Gelegenheit als ein flexibler Begriff. Geirs granitkantige Züge schnurrten zusammen, während in Haavards smartem, PR-geschultem Gesicht keine Regung zu erkennen war.
»Irgendwelche Kommentare?«, fragte Sara Svenhagen.
»Wir können keine Sicherheitsfragen kommentieren«, sagte Naess.
»Dies ist ein polizeiliches Verhör«, sagte Lena Lindberg, »keine Pressekonferenz. Sie kommentieren das, was wir Sie bitten zu kommentieren.«
»Genau genommen ist es wohl kein Verhör«, sagte Naess. »Ich sehe zum Beispiel keinen Anwalt.«
»Wir brauchen uns jetzt nicht in juristische Details zu vertiefen«, sagte Sara Svenhagen und warf ihrer Kollegin einen flammenden Blick zu.
Sie fuhr fort: »Aber wir können uns für einen Augenblick in technische Details vertiefen. Unmittelbar bevor wir zu Ihnen fuhren, habe ich mit einem Polizeitechniker gesprochen, den Sie ja getroffen haben. Er hat mich detailliert darüber informiert, wozu ein Ding wie dieses benutzt wird. Es lief darauf hinaus, dass man einen schwachen Strom für eine Anzahl von Sekunden stoppt, während man gleichzeitig Strom simuliert, sodass der Wirtscomputer glaubt, der Strom flösse weiter. Das praktische Anwendungsgebiet sind gewisse spezifische Formen von Datenübertragung. Aber ich glaube, dafür ist es in diesem Fall nicht benutzt worden. Wissen Sie, was ich glaube?«
Geir gab ein paar Grunzer von sich, die Naess nicht für übersetzenswert hielt.
»Ich glaube Folgendes: Jemand hat das schwächste Glied in der sichersten finanziellen Firewall der Welt ausgemacht. Es baute auf der Voraussetzung auf, dass man Zugang zur Sicherheitsnetzwerkverkabelung hatte, was nur in Ihren Bankfilialen möglich ist. Wenn der Strom in einem ganz bestimmten Kabel gestoppt wird, fällt für einen kurzen Augenblick das gesamte Sicherheitssystem aus, und das gesamte Geld der Bank wird zugänglich. Das setzt voraus, dass an einem anderen Ort irgendwo auf der Welt ein Komplize sitzt, der das Geld auf ein Konto transferiert. Warum es nicht einfach zugeben und eine polizeiliche Anzeige erstatten? Wir könnten uns vorstellen, dass Sie unsere Bankräuber gekidnappt haben und gegenwärtig damit beschäftigt sind, sie zu foltern, teils um das gestohlene Geld zurückzubekommen, teils um alle Lecks abzudichten. Das Zweite ist wichtiger als das Erste â stellen Sie sich vor, die Welt erführe,dass die sicherste finanzielle Firewall in der Welt gefallen ist. Jeder Sparer würde sein Geld abheben. Wir befürchten also, dass Sie, die Leitung der Andelsbank, ein bedeutend schwereres Verbrechen begangen haben als
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