Totenmond
Fingernägel. Die übrigen Kollegen waren anderweitig mit Ermittlungen über das vierte Opfer Jennifer Gärtner befasst, und Kowarsch bereitete die für mittags angesetzte Befragung von Carsten Lütkehagen vor – dem Augenzeugen von der Goldspechtmühle. Von dessen Aussage versprach man sich allerdings nicht viel Neues.
»Was ist mit diesem Potthast? Dem vom Kinderheim?«, fragte Veronika.
Schneider antwortete: »Auf den Luisenhof sind wir bei zwei Fällen gestoßen. Dem Vernehmen nach war Potthast zu Hilfsprojekten auch in Afrika. Er hat außerdem Knowhow in Computerfragen. Ich würde ihn mir genauer ansehen.«
»Habt ihr ihn nicht überprüft?«
»Nö. Ich dachte, ihr hättet euch den vorgeknöpft, nachdem ich vor Ort erfahren durfte, dass ihr einen Tag vor uns bei ihm gewesen seid.«
Veronika ließ Schneiders Spitze unkommentiert. »Dann sollten wir das jetzt tun. Ich werde dafür gleich ein paar Leute abstellen. Weiter sollten wir Hankemeier noch einmal vernehmen. Vielleicht gibt es eine Beziehung zwischen ihm und Potthast. Ich hätte gerne, dass du dabei bist, Stephan.« Reineking nickte.
Veronika sah ihn fragend an: »Wie sieht es mit den Reaktionen vom Jugendamt auf die Anordnungen von Staatsanwaltschaft und Gericht aus?«
»Einiges ist fertig, anderes nicht«, sagte Reineking.
Alex legte die Büroklammerkette zur Seite. »Welche Anordnungen?«
Veronika erklärte: »Adoptionsdokumente des Tatverdächtigen und der Opfer. Einige Informationen, an die wir aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht einfach so gelangen. Schlussendliche Klärung von familiären Verhältnissen und derlei Dinge. Wir wissen noch nichts Exaktes über die leibliche Mutter und den Bruder von Hankemeier.«
»Hankemeier hat einen Bruder?«
»Wir wissen erst seit gestern, dass für Hankemeier seinerzeit das Jugendamt in Bad Oberwalde zuständig gewesen ist.« Oberwalde war ein kleiner Kurort nicht weit von Lemfeld. »Es gibt eine Liste mit dort vorgenommenen Adoptionen. Darin taucht ein Harald Frentzen mit dem gleichen Geburtsdatum wie Elmar Hankemeier auf. Wir vermuten, dass es sich um Zwillinge gehandelt hat, die zur Adoption freigegeben worden sind. Ist aber noch nicht sicher. Vielleicht auch nur ein Zufall. Als Adoptivmutter wird eine Ingelore Frentzen genannt, wohnhaft in Oberwalde. Der Vater lebt nicht mehr.«
Reineking ergänzte: »Wir brauchen die Daten für eine saubere Vita, falls der Staatsanwalt Anklage gegen Hankemeier erheben will.«
Veronika fuhr fort: »Über Harald Frentzen haben wir noch nichts. Wir haben einige Melderegister abgefragt, aber keine aktuellen Einträge gefunden. Vielleicht lebt er nicht mehr in Deutschland.«
Alex schwang die Büroklammerkette wie ein kleines Springseil. »Was erzählt Hankemeier über einen Bruder?«
»Nichts. Wahrscheinlich, weil er nichts darüber weiß. Und bis wir keine verlässlichen Informationen haben, konfrontieren wir ihn auch nicht damit.«
»Und was sagen seine Adoptiveltern dazu? Wussten die davon?«
Veronika antwortete: »Weder die Eltern noch jemand anders hat das bislang kommentiert. Wir haben die Statistik aus dem Adoptionsjahr gesehen und uns unseren Teil gedacht. Mehr nicht. Und entweder haben wir recht oder nicht. Relevanz für die Ermittlungen hat das nicht, allenfalls wie erwähnt für die Komplettierung der Unterlagen.«
»Keine Relevanz«, wiederholte Alex und schwang die Kette immer schneller.
Schneider musterte sie nachdenklich: »Worüber denkst du nach?«
»Über Relevanz.«
Die Wichtigkeit, die man einem Sachverhalt in einem bestimmten Zusammenhang beimisst, dachte Alex. In diesem Fall der denkbaren Tatsache, dass Hankemeier einen unbekannten Zwillingsbruder haben könnte. Vielleicht log Hankemeier diesbezüglich, vielleicht wusste er tatsächlich nichts davon. Was wiederum nicht ausschloss, dass dieser Harald Frentzen von Elmar Hankemeier wusste. Zwischen manchen Zwillingen gab es sehr intensive Bindungen. Und es war zumindest bemerkenswert, dass die Kollegen nichts über einen Harald Frentzen herausgefunden hatten. Zu jedem Menschen gab es irgendwo Registereinträge. Welche Bedeutung das haben könnte, wusste Alex nicht. Auch nicht, ob es einen Zusammenhang gab. Aber es kribbelte in ihrem Nacken. Und das bedeutete, dass sie sich die Dinge etwas genauer ansehen sollte.
Veronika stieß sich mit der Hüfte vom Tisch ab. Sie schien zu ahnen, worüber Alex nachdachte. »Du willst mit dieser Ingelore Frentzen sprechen?«
Alex nickte. »Wir
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