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Totenmond

Totenmond

Titel: Totenmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Koch
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sonst nichts. »Er hat nichts an die Wand geschrieben. Und das hat er bisher immer getan, stimmt’s? Ein weiterer Bruch im Modus, der dafür sprechen könnte, dass wir es mit einem Trittbrettfahrer zu tun haben. Oder aber mit dem Komplizen von Hankemeier.«
    »Vielleicht wurde er bei der Tat gestört. Hatte nicht viel Zeit.«
    Veronika warf Alex einen ungläubigen Blick zu. »Der Augenzeuge sagt, dass er keinen Volkswagen wegfahren sah, sondern ein anderes Fahrzeug. Du weißt, welche Marke unser Täter bevorzugt. Hast du dafür auch eine Erklärung?«
    Alex schwieg.
    Veronika streckte das Kinn ein wenig vor. Dann steckte sie das Tablet wieder in ihre Tasche, drehte sich wortlos um und ging.

74.
    A lex starrte an die Schlafzimmerwand. Ihre Augen brannten von der Übermüdung und dem Sex, der es nicht geschafft hatte, ihre Gedanken zu betäuben und alle Sorgen in einer heißen Woge fortzuspülen. Jans Finger spielten in ihrem Haar. Seine Brust hob und senkte sich. An der Wange spürte sie seinen Herzschlag. Er war ruhig und kräftig. Unten am Bettrand schnurrte Hannibal.
    »Wo ist Mia heute eigentlich?«
    »Seit heute Nachmittag bei einer Freundin. Die zwei waren zum Sport. Mia übernachtet bei ihr. Warum?«
    »Nur so«, sagte Alex. Ihre Hand lag auf Jans flachem Bauch. Sein Puls klopfte weiter im ruhigen Takt wie ein hubraumstarker V8-Motor. Sie sagte: »Ich werde Hannibal erst mitnehmen, wenn sie wieder da ist. Damit sie sich noch verabschieden können. Ist das okay für dich?«
    Jan beugte sich nach vorn, um Alex’ Stirn zu küssen. Sie schloss die Augen. Das Brennen verschwand augenblicklich. Stattdessen legte sich die bleierne Schwere der letzten achtundvierzig nahezu durchwachten Stunden auf ihre Lider.
    »Alles klar mit dir?«, hörte sie Jans Stimme.
    »Mhm«, machte Alex heiser, um sich im nächsten Moment zu korrigieren. »Nichts ist okay.«
    »Willst du darüber reden?«
    »Nein. Ich will, dass du mich einfach festhältst.«
    Jan drückte Alex an sich. Sie schmiegte sich in seinen Arm. Die Gewichte auf ihren Augen wurden immer schwerer.
    »Schweigen macht es nicht besser, Alex.«
    »Manchmal schon.« Ihr Atem wurde ruhiger. Sie schloss die Augen und hörte Jan im Halbschlaf weiterreden. Seine Worte drangen wie durch Watte zu Alex, tanzten auf weißen Wolkenbergen über dem Atlantischen Ozean, drifteten im Rotorenwind eines Hubschraubers über die Steppe, rollten mit dem kehligen Brummen eines weißen Leoparden, der durch den roten Schnee vor einem blutigen Mühlrad schlich, Alex aus bernsteinfarbenen Augen ansah und die Fangzähne bleckte.
    Wer, dachte Alex, bist du? Woher kommst du? Wohin willst du gehen? Die Fragen tröpfelten von einer sturmumtosten Klippe, taumelten in einer Spirale in die namenlose Schwärze, die Alex umfing und erst am anderen Morgen wieder aus ihren Fängen entließ.

75.
    G erd Möbius zwirbelte an seinem beachtlichen Schnäuzer, mit dem er gut als Mitglied einer kölschen Karnevalsband durchgegangen wäre. Dann lehnte sich der Chef der Lemfelder Kreispolizeibehörde im Schreibtischsessel zurück, verschränkte die Arme in seinem Stiernacken und sah dem Ficus benjamina beim Zittern in der Heizungsluft zu. Möbius trug einen leuchtend blauen Golfpullover. Hinter ihm an der Wand hing eine gerahmte FBI-Urkunde aus den achtziger Jahren. Die restlichen Wände waren mit historischen Fotografien aus Irland und Spiegeln mit Werbeaufdrucken von Guinness oder Kilkenny verziert. Schließlich durchbrach Veronika das Schweigen, die heute einen cappuccinofarbenen Faltenrock, einen dazu passenden Rolli und kniehohe Stiefel trug.
    »Machen wir es kurz«, sagte sie kalt. »Ich möchte, dass Alex von den laufenden Ermittlungen entbunden wird – und ich erwäge, sie abzumahnen, da sie trotz mehrfacher Ermahnungen daran festhält, die Arbeit der Kommission zu unterlaufen.«
    Alex schluckte. Am liebsten wäre sie aufgestanden und hätte Veronika eine reingehauen.
    »Und ich stelle dazu fest«, sagte Alex, »dass ich in keiner Weise Ermittlungen mit meinem Verhalten beeinträchtigt habe. Ich bin zudem der Auffassung, dass sich die aktuelle Fahndung in eine falsche Richtung entwickelt. Es ist allerdings richtig, dass die Sonderkommission in zwei Lager gespalten ist, und hier appelliere ich an die Integrationsfähigkeit der neuen Dezernatsleitung …«, Veronika lachte trocken auf, »… mir Zugang zu dem bisherigen Tatverdächtigen zu ermöglichen«, beendete Alex ihren Satz.
    Möbius atmete tief

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