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Totenmond

Totenmond

Titel: Totenmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Koch
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Briefumschlags. Dann schluckte sie und nickte stumm.

8.
    Z uerst fielen ihr die merkwürdigen Zeichen an der Wand auf. Dann sah sie Reineking, der einen Beweismittelbeutel gegen das Licht hielt. Schließlich Kowarsch, der mit einem Kriminaltechniker sprach. Den Rest, dessen war sich Alex sicher, würde sie nie mehr wieder vergessen können.
    Rolf sagte mit gesenkter Stimme: »Es ist nicht das erste Mal, dass das passiert ist.«
    Alex sah den Körper. Die gefrorenen Blutlachen. Ihre Kehle fühlte sich an, als sei sie verstopft. Sie räusperte sich und fragte: »Nicht das erste Mal?«
    Rolf legte ihr die Hand auf die Schulter. »Es gab einen Fall wie diesen vor deiner Zeit. Den Fall Nele Bender. Aber lass dich davon jetzt nicht ablenken. Sieh dich um. Den Rest erkläre ich dir später.«
    Und Alex sah sich um.
    Der Raum glich einem Schlachthaus. Im Scheinwerferlicht schien alles wie für ein Filmsetting hergerichtet. Die Blutpfützen auf dem Boden wirkten wie ausgegossener Lack und waren mit einer feinen Frostschicht überzogen. Genau wie der aufgebrochene Körper einer jungen Frau.
    Die nackte Leiche lag mit ausgebreiteten Armen wie eine herabgestürzte Christusfigur vor dem mit Rostflecken besprenkelten Kessel. Um die Fußgelenke war ein Stahlstrick gebunden, der zu einer Seilwinde zu gehören schien. Ihre vereiste, zerschnittene Haut war wie von Klauen zerfetzt. Die Brustwarzen waren entfernt worden. Alex sah gefrorene Organe. Der Kopf war fast abgerissen, die Augen ausgestochen, das Hüftgelenk sah zertrümmert aus. Auf den ersten Blick schienen ganze Fleischstücke zu fehlen. Als sei eine wilde Bestie über das Mädchen hergefallen, um sie zu fressen.
    Und dann waren da die Zeichen. Für Alex war es keine Frage, dass der Täter das Blut seines Opfers benutzt hatte, um sie an die Wände zu schmieren. Zeichen, die Alex noch nie zuvor gesehen hatte. Auf den ersten Blick schienen es astrologische oder archaische Symbole zu sein. Doch was auch immer der Täter geschrieben hatte, dachte Alex, es war seine Signatur. Die Unterschrift des Bösen.

9.
    S ie hatten etwa zwei Stunden am Tatort zugebracht und gewartet, bis das Team der Rechtsmedizin aus Münster erschienen war. Dann konnten sie einen schweren Gang nicht mehr weiter aufschieben, den Besuch der Mutter des Opfers. Es war nicht schwer gewesen, sie ausfindig zu machen: Der Täter hatte den Personalausweis des Opfers dagelassen. Er klemmte zwischen den Zähnen der Leiche.
    Unterwegs hatte Schneider Alex kurz erklärt, der andere Fall habe sich vor ihrer Zeit in Lemfeld zugetragen, und er werde ihr nachher noch die vollständige Akte zeigen. Auf ihre Nachfrage, warum sie die nicht längst kannte, hatte er etwas pampig angemerkt, dass sie erstens nicht erwarten könne, dass ihr jeder offene Fall auf dem Silbertablett und mit Zucker bepudert serviert werde. Zweitens habe wahrscheinlich niemand daran gedacht, weil sie in der letzten Zeit mit den Purpurdrachen- und den Hexenmorden sowie der Restrukturierung der Polizeibehörde mehr als genug zu tun gehabt hatten. Ansonsten hatten sie kaum ein Wort gewechselt. Zu tief saß der Schreck über das, was sie eben gesehen hatten.
    Die Aussicht, einer Mutter die Nachricht vom Tod ihrer Tochter zu überbringen, machte es nicht besser. Niemand mochte das, weil sich das Objekt Leiche dabei wieder in etwas Menschliches verwandelte. An die Toten konnte man sich gewöhnen. Sie schrien nicht über den Verlust und rissen sich nicht die Haare aus oder zerkratzten sich das Gesicht. Außerdem war Antje an Huef mit ihren einundzwanzig Jahren nicht bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen. Sie war von einem namenlosen Monstrum zerfleischt worden.
    Antje an Huef war der Name des Opfers. Eine Tochter aus gutem Hause, wie es schien. Ihr verstorbener Vater Ernst-Wilhelm an Huef war General bei der Bundeswehr gewesen. Die Mutter bewohnte heute allein das Haus der Familie – eine alte Jugendstilvilla im eleganten Viertel außerhalb des Zentrums an den Hängen des Stausees, auf dessen gefrorenem Eis seit Tagen Schlittschuhläufer ihre Runden drehten.
    Als Alex und Schneider ausstiegen, roch es nach Schnee. Alex schaute auf, und für einen Moment hoffte sie, dass Hilde an Huef nicht zu Hause wäre. Vielleicht bei einer Freundin zu Besuch oder bei einem der anderen Kinder, die nach den ersten Ermittlungen in Wiesbaden und Hamburg lebten. Als Alex die zwei hellerleuchteten Fenster sah, war dieser Augenblick vorüber. Sie nestelte mit den Lippen

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