Totenmond
das immer machst.«
»Wirklich?« Alex wusste, dass das eher eine rhetorische Frage war.
Schneider startete ein Programm. Der Laptop begann zu surren. »Tust du. Ist wie ein Zwang. Du musst aus irgendwelchen Gründen immer hart gegen dich selbst sein. Und das macht dich noch härter.«
Alex hob erstaunt eine Augenbraue. So persönlich hörte sie Rolf selten reden. Was war mit dem denn los? »So, bin ich hart geworden?«
»Ja. Ich sage ja nicht, dass das schlecht ist. Fällt einem nur auf.«
»Also«, sagte Alex, wie um sich zu entschuldigen, »wenn es dich beruhigt: Eigentlich wollte ich ja gleich noch weg. Mal ein bisschen unter die Leute in diesen Jazzclub Station. Ein wenig Abwechslung tut ganz gut, glaube ich. Kommst du mit?«
Alex betrachtete Schneider, der ohne zu antworten weiter auf den Bildschirm starrte. Auch nach einer halben Minute kam keine Antwort.
Alex sagte: »War ja nur eine Idee.«
Schweigen.
»Hast du etwas vor?«
Schneider gab ein unbestimmtes Geräusch von sich und nickte. Anscheinend wollte er nicht darüber reden. Alex blickte wieder in die Akte und öffnete wie nebenbei die Schreibtischschublade, griff nach einigen Büroklammern und begann, sie ineinander zu verhaken.
Sie fragte: »Was habt ihr damals in der Bender-Sache ermittelt?«
»Alles und nichts. Wir haben die Stadt auf den Kopf gestellt. Es gab zig Vernehmungen, doch keinen Tatverdächtigen. Aber der ganze Modus ist identisch mit dem Mord an Antje an Huef.«
Alex betrachtete das Bild mit den merkwürdigen Zeichen. Es handelte sich um archaisch anmutende Symbole. Wie Alchemistenzeichen. Ein Halbkreis mit Sternen am Ende, einige versetzte Kreuze, spitzwinklige Dreiecke, Wellenformen, Punkte. »Habt ihr etwas über diese Zeichen herausgefunden?«
Schneider nahm die DVD aus dem Laufwerk. »Nein. Wir waren davon ausgegangen, dass es sich um so eine Art persönlicher Geheimsprache handeln muss.«
»Es gibt darüber auch kein Gutachten?«
»Nein.« Schneider reichte Alex die DVD. »Und da war noch etwas Merkwürdiges.«
»Und das wäre?«, fragte Alex und hielt damit inne, ihre Büroklammerkette zu flechten.
»Wir haben damals am Tatort Tierhaare gefunden«, erklärte Schneider. »Von einem Leoparden.«
12.
B lue moon, you saw me standing alone«, hörte Alex den Sänger der Bluesband von der Bühne klagen. Na großartig. Da hatte sie beschlossen, sich unter Menschen zu begeben. Und wovon sang jetzt dieser Typ? Von der Einsamkeit.
Die Bühne befand sich zwischen zwei verzierten Metallsäulen, auf denen das gewölbte Dach des früheren Wartesaals im alten Lemfelder Bahnhof ruhte. Dort hatte sich das Station zu einer »festen Größe in der regionalen Jazz- und Bluesszene« entwickelt. So stand es zumindest auf dem Programm-Flyer des Clubs, den Alex gestern aus dem Briefkasten gefischt hatte. Sie schwenkte den Rotwein im Glas hin und her und dachte an die Akte von Nele Bender. Spätestens morgen würde eine neue angelegt werden, auf deren Deckel der Name Antje an Huef stand. Zweimal der wohl identische Modus. In beiden Fällen die merkwürdigen Zeichen an den Wänden der Tatorte. Und wenn ein weiteres Mal auch die Haare einer Raubkatze gefunden würden, wäre das ein zusätzliches und verlässliches Indiz dafür, dass die beiden Fälle zusammenhingen. Was auch immer das bedeuten mochte.
Sie trank einen Schluck Rotwein und dachte darüber nach, was Schneider ihr noch gesagt hatte. Dass sie härter geworden sei. Härte definierte sich durch den Widerstand gegen andere Körper. Was blieb ihr also anderes übrig, als hart zu sein, um nicht verletzt zu werden – bei allem, was sie insbesondere in den letzten beiden Jahren und in der Zeit davor schon erlebt hatte? Alex trank einen kräftigen Schluck und wischte sich mit dem Daumen einen Tropfen von den Lippen. Sie stellte das Weinglas ab und begann, einen neuen Turm aus Bierdeckeln zu bauen.
»Nicht Ihre Musik, oder?«
Die Stimme stach unvermittelt dicht neben ihr aus dem aufbrausenden Gemurmel und Gebrabbel heraus. Alex zuckte zusammen und stieß so heftig mit dem Knie unter den Tisch, dass ihr Wein beinahe übergeschwappt wäre. Sie hatte gar nicht mitbekommen, dass die Band nicht mehr spielte.
»Was?«, fragte Alex und blickte auf. Vor ihr stand ein Mann. Er mochte um die vierzig sein, wirkte aber jünger. Seine dunklen Haare waren strubbelig, von grauen Strähnen durchzogen und kurz geschnitten. Lachfalten hatten sich um die blauen Augen herum tief in die Haut
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