Totenmond
solche gefragt sein würde.
Der Lichtkegel des Xenonaufsatzes der Glock tanzte über den grauen Boden, tastete die Regale mit Broschüren ab, glitt über den Kassentresen und blieb an einem Wegweiser hängen. Er stand neben der Metallbrücke, die über den Museumsgraben führte. Alex las, dass man über die Brücke in den Ostflügel und damit in die Völkerkundeabteilung sowie in die Sonderausstellung »Museum in Aktion« gelangte, die unter dem Motto »Mythen, Mumien, Metamorphosen« stand. Genau wie es auf dem Flyer versprochen wurde, den Berner Alex gegeben hatte. Und dort, so vermutete sie, würde sie Berner und Mia finden. Eine Mia, die hoffentlich noch lebte und sicherlich Todesängste ausstand.
»Ich gehe in den Ostflügel und in die Räume für Sonderausstellungen«, sprach Alex ins Handy.
»Bestätigt, Ostflügel«, schnarrte Reineking im Kopfhörer.
Alex überquerte die Brücke. Sie richtete die Glock auf den Eingangsbereich der völkerkundlichen Abteilung und betrat den Schauraum.
Sie schauderte, als das Licht der Taschenlampe auf die spitzen Reißzähne einer grinsenden Maori-Figur traf. Ein Dämon aus Holz, der mit den Augen rollte und die Zunge herausstreckte. Neben ihm das hohle Gesicht einer afrikanischen Maske, die zu einem mannshohen Körper gehörte, über den grellbunte Stofffetzen und wirr abstehendes Stroh geworfen worden waren. Das Glas der Schaukästen reflektierte das Xenonlicht in hellen Blitzen. Fetische aus Java, rituelle Gegenstände aus Australien, eine ganze Ansammlung von Schwertern aus Malaysia, dazwischen immer wieder entrückt verzerrte Dämonenfratzen, die sie aus leeren Augen anstarrten.
Dann mischte sich unter das weiße Licht der Taschenlampe ein gelblicher Schein. Alex erstarrte. Und war da nicht auch ein Geräusch? Sie hielt den Atem an und verharrte in der Bewegung. Der Wirrwarr aus Anweisungen, Kommentaren, Befehlen und Funkgerätkrächzen in ihrem Ohr übertönte jedoch alles. Mit der freien Hand riss sie an der Kabelstrippe den Hörer aus dem Ohr. Ja, da war ein Geräusch. Ein gleichförmiges Scheppern. Es kam aus derselben Richtung wie das flackernde Licht, und zwar aus einem Gang, der einige Meter vor Alex nach rechts in einen weiteren Raum und in die Sonderausstellung führte.
So behutsam wie möglich bewegte sich Alex vorwärts, griff dabei nach dem kleinen Mikro und flüsterte hinein.
»Ich gehe nach rechts in die Sonderausstellung, von dort sehe ich ein Licht und höre etwas.«
Sie ließ das Mikro wieder los und ignorierte das blecherne Wispern, das aufgeregt aus dem Ohrknopf drang, der über ihrer Schulter baumelte.
Das Erste, was Alex deutlich wahrnahm, war die Melodie. Verzerrte Gitarrenakkorde, die wie in einer Endlosschleife aus tragbaren Boxen drangen. Alex machte einen Satz nach vorne, presste sich mit der Linken das Fotoalbum an die Brust und lehnte sich mit dem Rücken an die Wand neben dem offenen Durchgang.
85.
D as warme Licht musste von Kerzen stammen. Es tanzte wie ein lebendiges Wesen auf dem Boden. Dort floss es um den schwarzen Schatten einer Figur, deren Finger wie scharfe Krallen gebogen waren. Sie hoben und senkten sich, als dirigiere das Wesen den Song. Eine aggressive Männerstimme mischte sich unter die Akkorde.
»Oh, Mother …«
Alex hielt die Luft an. Dann wirbelte sie um die eigene Achse, riss in der Bewegung die Waffe nach oben und stellte sich mitten in den Durchgang.
Große Kerzen standen in Wachspfützen auf dem Boden. Sie waren im Kreis aufgestellt. Ihr Schein strahlte die einbalsamierten Körper eingefallener Mumien an. Sie standen aufrecht in Glaskästen und wohnten wie gefrorene Zombies dem schrecklichen Schauspiel im Inneren des Kreises als Zuschauer bei. Mia saß auf einem Stuhl im Zentrum. Sie war nackt mit Klebeband an die Lehne gefesselt. Ein breiter Streifen Tape war über ihren Mund gepappt. Ein Ruck ging durch ihren Körper, als sie Alex erkannte. Ihre Augen weiteten sich wie zu einem stummen Schrei.
Hinter Mia stand der Mann. Sein Oberkörper war entblößt. Um seine Lenden war ein Leopardenfell gewickelt, das von einem derben Ledergurt zusammengehalten wurde. Das Fell setzte sich am Rücken fort. Die Pranken des Tieres waren über die Schulter geworfen. Auf dem Kopf trug er den Schädel des Leoparden wie eine Kappe. Seine Fangzähne teilten das strohblonde, lockige Haar in der Stirn. Es war dasselbe Haar, das Alex auf den Jugendfotos von Harald Frentzen gesehen hatte. Es war das Haar, das der Mann
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