Totenmond
keinen Lieferwagen!«
Alex ignorierte das Gemotze und blickte die zwei Männer in Orange fest an. »Hat jemand von Ihnen eine Erste-Hilfe-Ausbildung?«
Der Jüngere von beiden nickte. »Gerade erst wieder aufgefrischt.«
»Jetzt helfen Sie zwei mir mal«, sagte Alex zu den Männern, ging um Schneider herum und fasste ihn von hinten unter den Armen. Was nicht so einfach war mit dem Album unter dem Arm. Die zwei Männer kamen ihr zur Hilfe.
Alex sagte: »Es wird ein bisschen weh tun, Rolf, aber du musst ins Warme, sonst bekommst du eine Unterkühlung.«
»Okay«, zischte Schneider, biss die Zähne aufeinander und richtete sich mit Hilfe von Alex und den beiden anderen auf. Am oberen Rand der Böschung tauchte das Gesicht des dritten Mannes auf. »Das hat nicht viel Sinn mit dem Notarzt!«, rief er. »Die versuchen es, werden aber wohl nicht durchkommen!«
Alex sah dem anderen Mann in Orange an. »Dann bringen Sie uns mit Ihrem Schneeschieber nach Lemfeld. Wir sind in dringenden Ermittlungen unterwegs«, keuchte sie. »Mit Ihrem Fahrzeug kommen wir doch sicher durch, oder?«
»Ähm, ja«, stammelte der Mann und half Schneider hinauf auf die Straße. Schneider humpelte ziemlich und brummelte ein »Geht schon, geht schon« wie ein Mantra vor sich her.
Alex schulterte die Handtasche, als sie oben angekommen waren. Der Winterdienst-Lkw und der Lieferwagen waren schon fast unter einer weißen Schicht verschwunden. Sie klemmte sich das Album fester unter den Arm. Schneider ächzte, als sie ihn in die Fahrerkabine wuchten wollten. Er machte eine abwehrende Geste und versuchte es dann selbst. Es gelang ihm mehr schlecht als recht, aber es gelang. Offenbar war sein Bein tatsächlich nicht gebrochen. Vielleicht nur geprellt oder einige Bänder überdehnt.
Alex blieb draußen stehen und starrte auf die offen stehende Tür. Die Schneeflocken bildeten auf dem dunklen Kunststoff der Innenverkleidung zerfaserte Punkte. Es sah aus wie das Schwarzweißnegativ vom Bild eines Leopardenfells. Erst jetzt merkte sie, dass in ihrer Tasche das Telefon vibrierte. Sie nahm es heraus und sah, dass Kowarsch einige Male versucht hatte, sie zu erreichen – sicher während des Unfalls. Alex ging dran.
»Alex«, sagte Kowarsch. »Es hat etwas gedauert, aber der Augenzeuge von der Mühle hat sich an den Wagen erinnert. Es war ein Jaguar.«
82.
D er schwere Diesel röhrte wie ein Schiffsmotor, während sich der Schneepflug durch das dunkle Niemandsland pflügte. Dicke Flocken jagten durch das Licht der Scheinwerfer. Durch die Windschutzscheibe sah es aus, als würden Alex und Schneider durch ein Meer aus Sternen fliegen, um mit Lichtgeschwindigkeit zu Darth Vaders Todesstern vorzudringen. Aber am Steuer saßen nicht Han Solo und der Wookie Chewbacca, sondern ein blasser, bärtiger Mann in orangefarbener Jacke und ein weiterer mit Pudelmütze, der Schneider eine mit Kaffee gefüllte Thermoskanne mit der Linken und mit der Rechten drei gelbliche Kapseln hinhielt, die jeweils mit vierhundert Milligramm Ibuprofen gefüllt waren. Kopfschmerztabletten. Besser als nichts. Schneider warf die Pillen ein, spülte sie hinunter, fummelte umständlich seine Zigaretten aus der Jacke, steckte sich eine an und stieß seufzend eine beachtliche Qualmwolke aus.
»Was«, presste er hervor, ohne Alex anzusehen, »wollte Kowarsch denn?«
Alex starrte auf ihr Telefon. Kowarsch wollte ihr eine Datei schicken mit Namen von Personen, auf die in Lemfeld Jaguars zugelassen waren. Ein Jaguar, dachte sie. Der Name einer gefährlichen Raubkatze. Ausgerechnet.
Kowarsch hatte erklärt, dass er mit dem Augenzeugen Lütkehagen eine Reihe von Bildern durchgegangen war, die Rückansichten von Autos zeigten. Glücklicherweise kannte der Mann sich als Ex-Besitzer eines Autohauses gut aus und hatte schließlich den Typ mit den auffällig abgewinkelten Heckleuchten identifiziert. Kowarsch hatte schließlich nach allen in Lemfeld zugelassenen Jaguar-Limousinen gefahndet und war lediglich auf vierzehn gestoßen.
Schließlich meldete Alex’ Telefon mit einem Gong, dass eine neue E-Mail eingegangen war. Kowarsch. Alex öffnete den Dateianhang und überflog die Namen der Lemfelder Jaguar-Besitzer. An einem blieb sie hängen. Schließlich öffnete sie die zweite Datei und sah, dass auf die gleiche Person auch ein Golf Kombi zugelassen war. Sie las den Namen erneut. Dann noch einmal in der ersten Datei. Und nun ergab alles einen Sinn. Die Puzzleteile fügten sich zusammen. Alex
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