Totenmond
angeklatscht und mit Gel zurückgekämmt getragen hatte, als Alex ihn kennengelernt hatte: Marc Berner. Hinter ihm baumelte ein glänzendes Etwas an einem Seil von der Decke. Es sah aus wie ein mit spitzen Holzpfeilen durchstochener Ledersack, der mit Ketten und bunten Holzkugeln geschmückt war. Fleischlappen schienen daran mit Bändern aus Stroh befestigt zu sein. Es musste sich um die Quelle des bestialischen Gestanks handeln, der den Raum erfüllte.
Berner grinste Alex an und schwang seine Keulen wie Maracas. Allerdings befanden sich an diesen Maracas die Krallen einer Raubkatze. Sie waren so lang wie ein gekrümmter kleiner Finger. Im nächsten Moment sausten sie nach unten und legten sich an beiden Seiten um Mias Hals. Nur eine Bewegung, und die fürchterlichen Klauen würden ihn zerfetzen.
»Gefällt dir der Song? Mother von Glenn Danzig, Alexandra?«, rief Berner. »Du kennst doch Glenn Danzig, oder? Ich fand den Song ganz passend für unser Rendezvous, und sicherlich hast du bereits einiges herausgefunden und kannst dir vorstellen, warum ich ihn ausgewählt habe.«
»Das kann ich«, sagte Alex heiser und fasste die Glock fester.
Eisern klammerte sich ihr Griff um das Album in der anderen Hand. Die Taschenlampe strahlte Berner mitten ins Gesicht. Er blinzelte nicht einmal. Ihre Halsschlagader fühlte sich an wie ein Feuerwehrschlauch auf Hochdruck. Sie drohte zu platzen, als Alex Mias verzweifelten Blick wahrnahm. Für einen Moment überlegte Alex, Berner einfach zu erschießen. Aber wenn er dabei nach hinten fallen würde, könnten die Klauen Mias Halsarterien zerfetzen.
Alex warf das Familienalbum in Berners Richtung. Es schlitterte über den Boden und blieb aufgeschlagen liegen. »Ich war bei Ihrer Adoptivmutter in Bad Oberwalde. Sie hat mir das hier für Sie mitgegeben.« Ein ganzseitiges Foto war zu sehen. Ingelore und Rüdiger Frentzen, die Puppe Mäxchen auf dem Schoß, saßen auf einem Tretboot und lachten. Und ein kleiner Junge stand wie unbeteiligt daneben. Er lachte nicht.
Berner starrte auf das Bild und zuckte wie von einem Peitschenhieb getroffen zusammen.
»Sieht nicht nach einer glücklichen Kindheit aus«, sagte Alex und fasste die Glock nun mit beiden Händen. »Hat Ihr Vater gerne Danzig gehört, wenn er Sie verprügelte, damit die Nachbarn nichts hören? Spielen Sie mir das deswegen vor?«
Eine der Krallen löste sich von Mias Hals. Mit einer schwungvollen Bewegung traf sie den mobilen MP3-Player. Seine Plastikteile regneten auf den Boden. Augenblicklich war es bis auf Mias Wimmern und Berners Schnauben still im Raum. Kaum wahrnehmbar krächzte es aus Alex’ Kopfhörer. Die Kollegen würden bisher alles über das Mikrofon mitgehört haben und wissen, dass Alex fündig geworden war.
»Geben Sie auf, Berner«, sagte Alex und gab sich alle Mühe, gefasst zu klingen. »Lassen Sie Mia frei. Legen Sie Ihre Waffen zur Seite und drehen sich mit erhobenen Händen langsam weg von dem Mädchen.«
Berner legte die Kralle wieder zurück an Mias Hals.
Alex log: »Das Gebäude ist umstellt. Sie haben keine Chance, hier wieder rauszukommen. Es ist vorbei. Geben Sie auf.«
»Das spielt keine Rolle. Alles, was mir wichtig ist, befindet sich in diesem Raum. Du. Deine Tochter – und ich.«
»Mia ist nicht meine Tochter.«
»Das weiß ich«, sagte Berner leise und drückte die Krallen ein wenig fester an Mias Hals. Sie zuckte, riss die Augen auf und gab einen erstickten Laut von sich. Etwas Blut rann ihr über die Schulter. »Aber immerhin gibt es doch eine gewisse Beziehung zwischen euch, nicht?« Alex schwieg und presste die Lippen zusammen.
»Bevor du mich töten kannst«, sagte Berner, »werde ich Mia töten. Und mich interessiert im Rahmen eines kleinen Experiments, wie viel dir an ihr liegt und ob du nicht vielleicht doch noch Muttergefühle für sie entwickeln wirst – so wie es meine Mutter niemals getan hat. Du hast sie ja kennengelernt. Und meine leibliche Mutter …« Berner lachte verbittert.
Alex’ Gedanken drehten sich im Kreis. Darauf kam es ihm also an. Darum ging es in seinem wahnsinnigen Spiel. Und das war der finale Test, von dem Alex’ Mentor Johannes Stemmle in seinem Büro beim LKA gesprochen hatte, als er Alex erklärt hatte, dass der Mörder wissen wolle, ob sie würdig sei und dem Idealbild standhalte, das er von ihr entworfen hatte.
»Mia ist nicht meine Tochter und Ingelore Frentzen nicht Ihre Mutter«, sagte Alex tonlos. »Der leiblichen Mutter sind Sie
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