Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Totenmond

Totenmond

Titel: Totenmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Koch
Vom Netzwerk:
kein Mann für eine ernsthafte Beziehung, und außerdem war er deutlich älter als sie. Aber für den Moment war es egal. Für den Moment hatte er, was sie brauchte und vermisste.
    Mit einem Ruck riss er den Reißverschluss an ihrer Jacke auf und umfasste ihre Brüste. Fieberwogen rollten durch ihren Körper. Sie fummelte am Knopf seiner Jeans herum, spürte seinen heißen Atem. Sie schnappte nach Luft. Seine Hand wanderte zwischen ihre Beine. Dann küsste er sie so heftig, dass die Schneidezähne aufeinanderschlugen. Das Klicken klingelte in ihren Ohren.
    Dennoch war es zu leise, um auf die Tonspur des Digital-Camcorders zu gelangen, der draußen vor dem Fenster unter den Tannen versteckt war und leise summte.

35.
    D ie Gesamtzahl der im Kreis Lemfeld zugelassenen Fahrzeuge lag aktuell bei 253564. Darunter waren 189672 Pkw, bei dem Rest handelte es sich um Motorräder, Lkws, Transporter oder Busse. Jeden Monat kamen 1800 Neuzulassungen hinzu, und im ganzen letzten Jahr hatten 34000 Fahrzeuge den Besitzer gewechselt. Auf jeden zweiten Lemfelder kam somit im Schnitt ein Auto.
    Das war enorm, dachte Alex und bog mit dem Mini um eine Kurve. Zwanzig Prozent der zugelassenen Fahrzeuge stammten von VW. Unter diesen rund 38000 Autos waren 22654 vom Modell Golf, darunter etwa 8500 Kombi-Modelle, von denen zwei Drittel, annähernd 6000 Fahrzeuge, bezüglich des Baujahrs als Täterwagen in Frage kamen. Einen davon, dachte Alex, fuhr auch Jan, ließ den Gedanken aber so schnell fallen, wie er gekommen war.
    Sechstausend Autos also. Die Erkenntnisse über die verwendeten Winterreifen grenzten das weite Feld nicht sonderlich ein: Laut Bericht der Kriminaltechnik waren sie zweieinhalb Jahre alt und stammten von einer Marke, die man überall in Deutschland bekam. Bezogen auf die in Lemfeld zugelassenen Wagen blieb also immer noch eine stattliche Anzahl übrig, dachte Alex, während der Mini in die Adenauerallee einbog. Die Recherche, mit der sich Kowarsch befassen musste, glich der Suche nach einer Nadel im Heuhaufen und war sehr zeitaufwendig. Außerdem hatte er alle Ergebnisse mit denen aus dem Fall Bender abzugleichen. Kein Wunder, dass er Alex deswegen gebeten hatte, ihm die Befragung von Petra Becker abzunehmen.
    Alex hielt vor dem Wohnblock, in dem die vierundzwanzigjährige Petra Becker lebte. Die alleinstehende Krankenpflegerin hatte mit Antje an Huef zusammengearbeitet.
    Es war nicht die beste Wohngegend Lemfelds. Die Kollegen von der Schutzpolizei hatten häufig an der Adenauerallee zu tun, um sich mit Jugend-Gangs rumzuschlagen, Sachbeschädigungen aufzunehmen, in Fällen von häuslicher Gewalt und Ruhestörungen einzuschreiten oder auch Hobbygärtner festzunehmen, die Marihuana auf dem Balkon züchteten. Im Sommer war hier sogar einmal eine Wohnung ausgebrannt, weil jemand über einem offenen Feuer in der Küche eine Hammelkeule gegrillt hatte.
    Alex stieg aus dem Wagen und ging schnurstracks auf die Haustür zu, wählte aus den zahllosen Klingelknöpfen den mit dem Namen Becker und drückte ihn. Kaum fünf Sekunden später meldete sich der Türöffner mit einem leisen Summen. Alex lief die Treppenstufen hinauf.
    Petra Becker hatte halblange schwarze Haare, trug eine Bettie-Page-Frisur mit scharfgeschnittenem Pony und derart viele Piercings im Gesicht, dass ein Detektor am Flughafen schon aus lauter Vorfreude gepiepst hätte wie ein Rauchmelder auf Speed. Trotz der Kälte trug die junge Frau ein Spaghettiträger-Top.
    Aus der Stereoanlage jodelte ein Doo-Wop-Chor eine Version des Fünfziger-Jahre-Hits Teach me tiger von April Stevens. An der Wand hing ein Bild von Elvis im Goldrahmen. Und das alles passte so gar nicht zu Antje an Huef – es sei denn, die Rockabella Petra Becker hatte für Antje etwas dargestellt, nach dem sich ein Mädchen aus wohlbehütetem Hause sehnen würde: einen Ausblick auf die wilde Seite des Lebens.
    »Ich hab nicht so gern die Polizei im Haus«, sagte Petra Becker schnoddrig, als gingen die Kollegen von der Sitte oder der Drogenfahndung täglich bei ihr ein und aus. Sie ließ sich aufs Sofa plumpsen. »Sie sind jetzt schon die Zweite in dieser Woche.«
    Alex runzelte die Stirn und nahm auf einem mit Leopardenfell bezogenem Cocktailsessel Platz. Nachdenklich strich sie mit der Hand über den Bezug, während der Doo-Wop-Chor ein Raubtiergrollen imitierte, das eher nach schnurrender Miezekatze klang.
    »Keine Sorge«, sagte Becker und steckte sich eine Zigarette an. »Das ist nur Imitat.

Weitere Kostenlose Bücher