Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Totenmontag: 7. Fall mit Tempe Brennan

Totenmontag: 7. Fall mit Tempe Brennan

Titel: Totenmontag: 7. Fall mit Tempe Brennan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathy Reichs
Vom Netzwerk:
mürrischen Ton.
    »Auf was stützt du dein Bauchgefühl?«
    Diese Frage stellte ich mir schon drei Tage lang.
    »Erfahrung.«
    Von der mysteriösen Informantin sagte ich nichts. Auch nichts von der hirnlosen Gleichgültigkeit, mit der ich sie behandelt hatte.
    »Na ja, Sonnenschein.«
    »Ja, Schätzchen?« Ich fiel ihm ins Wort.
    Pause.
    »Du musst Beweise finden, um Claudel davon zu überzeugen, dass er sich irrt.«
    Eine lange Pause, erfüllt von meinem gereizten Atmen.
    »Ich nehme mal an, heute Abend ist nicht gut für dich.«
    »Was soll das heißen?«
    »Ich merke ja, wie müde und frustriert du bist. Geh heim und nimm eins deiner berühmten Schaumbäder. Morgen früh sieht dann alles schon besser aus.«
    Nachdem ich aufgelegt hatte, saß ich da und lauschte dem Brummen des leeren Gebäudes.
    Es war nicht zu leugnen. Drei ganze Tage war ich jetzt schon in Montreal. Und Nächte. Ryan war so liebenswürdig und charmant wie immer.
    Und so gut wie nie verfügbar.
    Ich brauchte keinen brennenden Dornbusch. Detective Strahlender Ritter schwang sich wieder in den Sattel.
    Und ich musste mich mit Detective Holzkopf herumschlagen.
    Ich kämpfte mit den Tränen, behielt die Oberhand.
    Ich hatte ohne Ryan gelebt. Ich konnte es auch wieder tun.
    Ich hatte mich mit Claudel abgefunden. Ich konnte es auch wieder tun.
    Aber war ich vielleicht selbst schuld an dem Problem mit Ryan? Warum war ich eben so kurz angebunden gewesen?
    Draußen blies ein böiger Wind. Unten lagen drei junge Frauen stumm auf rostfreiem Stahl.
    Ich schaute noch einmal aufs Telefon. Mrs. Gallant/Ballant/ Talent drückte nicht auf den Wahlwiederholungsknopf.
    »Leck mich, Schaumbad«, sagte ich und sprang aus dem Sessel.
    »Und du mich auch, Andrew Ryan. Wo immer du bist.«
     
    Um neun hatte ich LSJML-38 427, das Skelett aus der ersten Senke, abgeschlossen.
    Weiblich. Weiß. Fünfzehn bis siebzehn Jahre alt. Einhundertvierundsechzig bis einhundertsiebzig Zentimeter groß. Kein Geruch, keine Haare, kein Fitzelchen Bindegewebe. Knochen gut erhalten, aber trocken und entfärbt, mit gewisser Erdinfiltration. Postmortale Schädelverletzungen, darunter Fragmentierung des rechten Schläfenbereichs, der rechten Gesichtsknochen und des rechten Unterkieferastes. Keine perimortalen Skelettverletzungen, also kein Hinweis auf Verletzungen, die Aufschluss über die Todesursache geben konnten. Keine Zahnbehandlungen. Keine Kleidungsstücke oder Habseligkeiten. 38 427 war eine fast exakte Kopie von 38 426.
    Mit einem Unterschied. Ich hatte diese junge Dame in situ gesehen und wusste etwas über den Begräbniskontext. LSJML-38 427 war nackt und in Fötalhaltung in eine Grube gelegt worden.
    Wir von der jüdisch-christlichen Sorte schicken unsere Toten im Sonntagsstaat auf die Reise. Wir legen sie flach auf den Rücken, die Beine ausgestreckt, die Hände auf dem Bauch gefaltet oder gerade an den Flanken. Die zusammengerollte Schlafhaltung war eher typisch für unsere eingeborenen Brüder, bevor sie mit uns in Kontakt kamen.
    Und? Stützte diese Haltung Claudels Hypothese von der Historizität?
    So einfach war das nicht.
    Eine gekrümmte Leiche erfordert ein kleineres Loch. Weniger Graben. Weniger Zeit und weniger Energieaufwand. Ein solches Verscharren ist auch beliebt bei jenen, die es eilig haben.
    Wie Mörder zum Beispiel.
    Erschöpft schaffte ich die Knochen wieder in ihr Kühlfach, kehrte in mein Büro zurück und schaute aufs Telefon.
    Keine Nachrichten.
    Als ich auscheckte, war es nach zehn. Wind pfiff ums Eck des Wilfrid-Derome und stach wie ein Messer durch meine Kleidung. Der Atem flog mir in weißen Wölkchen um den Mund, als ich zu meinem Auto eilte.
    Während der ganzen Fahrt konnte ich an nichts anderes als an die Mädchen in der Leichenhalle denken.
    Waren sie an einer Krankheit gestorben? Waren sie auf eine Art getötet worden, die an ihren Knochen keine Spuren hinterlassen hatte? Waren sie vergiftet worden? Erstickt?
    Waren sie an Unterkühlung gestorben?
    An der Ampel der Viger tauchten zwei Teenager aus dem Schatten der Jacques-Cartier-Brücke auf. Tätowiert, gepierct und mit Stachelfrisur schwenkten sie Fensterwischer mit angespannter Nonchalance. Ich nickte ihnen aufmunternd zu, zog einen Dollar aus der Handtasche und sah zu, wie sie schmutziges Wasser über meine Windschutzscheibe zogen.
    Waren die Mädchen aus dem Pizzakeller junge Rebellen wie diese beiden gewesen, die auf vorgeschriebenen Pfaden in Richtung Nonkonformismus marschierten?

Weitere Kostenlose Bücher