Totenmontag: 7. Fall mit Tempe Brennan
zerfällt es, indem es in gleich bleibender Rate subatomare Partikel freisetzt.«
LaManches Blick ruhte schwer auf mir.
»In ungefähr 5730 Jahren verwandelt sich die Hälfte eines Bestandes an Radiokarbon-Atomen zu Stickstoff zurück.«
»Das ist die Halbwertszeit.«
Ich nickte. »Nach 11460 Jahren ist nur noch ein Viertel der ursprünglichen Radiokarbon-Menge übrig. Nach weiteren 5730 Jahren nur noch ein Achtel und so weiter.«
LaManche unterbrach mich nicht.
»Die Menge an Radiokarbon in der Atmosphäre ist wirklich winzig. Auf jede Billion stabiler Karbon-, also Kohlenstoffatome kommt nur ungefähr ein Radiokarbon-Atom. In der oberen Atmosphäre wird beständig Radiokarbon durch das kosmische Bombardement mit Stickstoff produziert. Ein Teil des Stickstoffs verwandelt sich in Radiokarbon, das aber sofort zu CO 2 oxidiert. Dieses CO 2 sinkt ab in die Biosphäre, wo es von den Pflanzen aufgenommen wird. Da Menschen, Tiere und Pflanzen zur selben Nahrungskette gehören, haben sie, solange sie leben, eine konstante Menge an Radiokarbon in sich. Die jeweilige Ist-Menge nimmt wegen des radioaktiven Zerfalls allmählich ab, wird aber durch Nahrungsaufnahme – oder bei den Pflanzen durch die Photosynthese – wieder aufgefüllt. Dieses Gleichgewicht besteht, solange der Organismus lebt. Wenn er stirbt, wird der Zerfall zum einzig aktiven Prozess. Die Radiokarbon-Datierung ist eine Methode, die den Zeitpunkt bestimmt, an dem dieses Ungleichgewicht seinen Anfang nahm.«
LaManche hob skeptisch beide Hände. »Mehr als fünftausend Jahre. Wie kann ein so langsamer Prozess bei jungen Überresten von Nutzen sein?«
»Ein berechtigte Frage. Es stimmt, dass die C-14-Datierung hauptsächlich von Archäologen benutzt wird und dass sie sich dort als ziemlich zuverlässig erwiesen hat. Aber diese Technik basiert auf einer Reihe von Annahmen, und eine davon lautet, dass der Radiokarbon-Pegel in der Atmosphäre im Lauf der Zeit konstant geblieben ist. Tatsächlich können gewisse Daten, die mit dieser Annahme nicht vereinbar sind, dazu benutzt werden, dieser Methode breitere Anwendungsbereiche zu erschließen.«
»Inwiefern?«
»An dem Punkt wird es interessant. In Studien sind für gewisse Zeitspannen signifikante Anomalien in den Radiokarbon-Daten dokumentiert. In den letzten achtzig Jahren gab es zwei Störungen, die beide vom Menschen verursacht wurden.«
LaManche lehnte sich zurück, schob die Finger ineinander und legte sich die Hände auf die Brust. Eine Aufforderung, es kurz zu machen? Ich fasste im Geist zusammen.
»Die Zeit von etwa 1910 bis 1950 ist charakterisiert durch eine Verringerung des atmosphärischen Radiokarbons, wahrscheinlich verursacht durch die Freisetzung der Verbrennungsprodukte von fossilen Brennstoffen wie Öl, Kohle und Erdgas.«
»Warum?«
»Wegen ihres hohen Alters enthalten fossile Brennstoffe kein nachweisbares Radiokarbon. Man bezeichnet sie als tot. Da die Verbrennung dieser Stoffe Kohlendioxid ohne Radiokarbon-Anteil freisetzt, nimmt der relative Gehalt von C-14 in der Atmosphäre ab.«
» Oui. «
»Aber ab etwa 1950 kehrten die atmosphärischen Tests thermonuklearer Waffen diesen Abwärtstrend um.«
»Das Radiokarbon in Lebewesen nahm wieder zu.«
»Dramatisch. Von 1950 bis 1963 stieg der Wert um etwa fünfundachtzig Prozent über die zeitgenössischen Vergleichsdaten. 1983 stoppte ein internationales Abkommen die atmosphärischen Atomtests fast aller Nationen, und die biosphärischen Radiokarbon-Pegel pendelten sich auf ein neues Gleichgewicht ein.«
»Dieser ganze Irrsinn.« LaManche schüttelte traurig den Kopf.
»Diese Störungen nennt man die Fossilbrennstoff- und Atombombeneffekte.«
LaManche schaute verstohlen auf seine Uhr.
»Im Wesentlichen geht’s darum, dass das künstliche oder ›Bomben‹-C-14 benutzt werden kann, um zu bestimmen, ob jemand vor oder nach der Periode der Atomtests starb.«
»Wie wird dieser Test durchgeführt?«
»Genau genommen gibt es zwei Methoden. Bei der normalen radiometrischen Technik werden Materialien analysiert, indem man die Kohlenstoffproben zu Benzol synthetisiert und dann den C-14-Gehalt in einem Szintillationsspektrometer misst.«
»Und die andere Methode?«
»Bei der anderen Methode erhält man die Resultate aus der Reduktion der Kohlenstoffprobe zu Graphit. Das Graphit wird dann in einem Beschleunigungsmassenspektrometer auf seinen C-14-Gehalt untersucht.«
Einige Sekunden lang sagte LaManche gar nichts. »Wie viel
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