Totennacht (German Edition)
Haus und nach weiterem ruhelosen Auf und Ab, drang durch die dünnen Wände, von denen der Feuchtigkeit wegen die Farbe abblätterte, der zittrige Schrei eines gerade geborenen Säuglings.
Gleich nach der Geburt ließen Erics Eltern Jennifer und Craig allein. Die beiden sollten sich entscheiden: entweder das Kind zu behalten und gemeinsam aufzuziehen oder es zur Adoption freizugeben und getrennte Wege zu gehen. Als die Sonne über der vom Sturm heimgesuchten Insel aufging, hatte sich Jennifer dazu durchgerungen, Frau und Mutter zu sein. Er aber war entschlossen, wieder der Armee beizutreten und noch am selben Tag in die Kaserne zurückzukehren.
«Craig ging, ohne den Säugling auch nur ein einziges Mal im Arm gehalten zu haben», berichtete Ken. «Jenny war am Boden zerstört. Am Morgen nach seinem Weggang verließ sie ihr Bett, obwohl deine Mutter ihr riet, sich zu schonen. Aber Jenny bestand darauf, an die frische Luft zu gehen. Sie wolle sich nur kurz die Beine vertreten, sagte sie, einen Spaziergang zum Strand machen und nachdenken.»
Bevor sie ging, umarmte sie Maggie und gab ihr einen Kuss auf die Wange. Es war das letzte Mal, dass Erics Mutter ihre Freundin sah.
Niemand wusste, was in der aufgewühlten Brandung geschah. Es gab keine Zeugen, niemanden, der Jennifer gesehen hätte. Vielleicht war es ein Unfall, vielleicht Selbstmord gewesen. Ken konnte nur berichten, dass tags darauf ihre Leiche an Land gespült wurde.
Nach Jennifers Weggang hatte sich Maggie um den noch namenlosen Säugling wie um ihr eigenes Kind gekümmert, ihn gebadet, gefüttert und in Tücher gewickelt, die aus einem Bettlaken geschnitten waren. Als die Polizei mit der Meldung von Jennifers Tod kam, wollte sie unter anderem wissen, wem das Kind gehöre.
«Deine Mutter hat behauptet, es sei unseres», sagte Ken.
Maggie hatte ihren Mann mit keinem Wort vorgewarnt. Der Polizei erzählte sie nur die halbe Wahrheit: Das Kind sei in der Nacht zur Welt gekommen, als der Sturm am heftigsten tobte, und wegen Jennifers Verschwinden habe man auch nach Wetterbesserung nicht ins Krankenhaus fahren können. Von Craig Brewster, der auf dem Weg nach Fort Rucker in Alabama war, sagte sie nichts, und auch wer die wahre Mutter des Säuglings war, behielt sie für sich.
Die Polizei gab sich mit ihrer Erklärung zufrieden und fuhr sie ins Krankenhaus, wo das Kind untersucht wurde. Auf der Geburtsurkunde wurden Ken und Maggie Olmstead als Eltern eingetragen. Den Namen Charlie wählten sie zu Ehren von Kens Großvater.
«Wir haben erst miteinander gesprochen, als wir vom Krankenhaus zurück waren», sagte er. «Deine Mutter war überzeugt, richtig gehandelt zu haben. Jennifer hätte nicht gewollt, dass das Kind bei Fremden aufwächst, meinte sie. Ich war mir nicht so sicher und fürchtete, dass irgendwann die Wahrheit ans Licht kommen würde.»
Heikel wurde es zum ersten Mal, als Mort und Ruth Clark in Florida landeten, um ihre Tochter einäschern zu lassen und im Meer zu bestatten. Maggie erzählte ihnen die gleiche Geschichte wie der Polizei. Als sie den Säugling im Arm hielt, meinten beide, dass er ihr ähnlich sehe.
Zur zweiten Nagelprobe kam es wenige Wochen später, als sie nach Perry Hollow zurückkehrten. Sie zogen zu Maggies Eltern, die aus allen Wolken fielen, als ihnen ein Enkel präsentiert wurde.
«Als Entschuldigung dafür, nicht schon vorher Bescheid gegeben zu haben, haben wir erklärt, dass Komplikationen aufgetreten seien und wir nicht sicher sein konnten, dass das Kind überlebt», fuhr Ken fort. «Keine Ahnung, ob sie uns geglaubt haben. Jedenfalls gaben sie sich damit zufrieden.»
Bald darauf zogen Maggies Eltern aus und überließen dem jungen Ehepaar das Haus. Charlie wuchs in der Nachbarschaft seiner wahren Großeltern auf. Schließlich wurde Maggie selbst schwanger und brachte Eric zur Welt.
«Den Rest kennst du», sagte Ken.
Er stand auf, reckte sich und ließ die Gelenke knacken. Dann ging er in die Diele, wo er in der Nacht zuvor seine Schuhe abgestellt hatte. Als Eric hörte, dass er sie anzog, fand er endlich zur Sprache zurück.
«Nein, ich kenne den Rest nicht», sagte er und baute sich vor Ken auf. «Deine Geschichte hat jede Menge Lücken.»
«Wie gesagt, mein Gedächtnis ist nicht mehr das, was es einmal war.»
Eric folgte seinem Vater nach oben ins mütterliche Schlafzimmer. «Was wurde aus Craig Brewster? Hast du je wieder von ihm gehört?»
«Einmal», antwortete Ken. «Ich habe ihn an seinem Stützpunkt
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