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Totennacht (German Edition)

Totennacht (German Edition)

Titel: Totennacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Todd Ritter
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Ausflügen ins All das Ende des Lebens auf der Erde eingeläutet sahen. Zufällig stieß Kat bei ihren Recherchen auf einen Artikel über eine Gruppe religiöser Fanatiker aus Texas, die im Vorfeld der ersten Mondlandung einen unterirdischen Bunker auf ihrem Grundstück gebaut hatten. Als Neil Armstrong jene historischen ersten Schritte tat, suchten Frauen und Kinder in dem Bunker Zuflucht, während die Männer bewaffnet draußen Stellung bezogen. Wie sich später herausstellte, gehörten manche dieser Kinder zu Familien aus der Nachbarschaft, die mit den Fanatikern überhaupt nichts zu tun hatten. Es sei zu deren Schutz gewesen, erklärte ein Sektenmitglied der Polizei, nachdem die Kinder wieder freigelassen worden waren. Im Unterschied zu ihnen hatte man keines der Kinder von Maggie Olmsteads schauriger Collage jemals wiedergesehen.
    Wahrscheinlich, so vermutete Kat, gab es Hunderte ähnlicher Geschichten und Szenarien. Aus Erfahrung wusste sie, dass schreckliche Menschen unterwegs waren, die schreckliche Dinge taten, oft aus Motiven heraus, die, wenn überhaupt, nur sie selbst kannten. Kat ahnte, dass es sinnlos war, diesen Dschungel zu durchforsten, bevor sie nicht eine konkretere Vorstellung von dem hatten, was den Jungen geschehen war.
    Sie schaltete den Computer aus, trank die letzten Tropfen Wein und drehte die Tafel mit der Vorderseite zur Wand. Nachdem sie sich im Parterre vergewissert hatte, dass alle Fenster und Türen geschlossen waren, ging sie nach oben ins Obergeschoss, schaute in James’ Schlafzimmer nach dem Rechten und ging schließlich selbst ins Bett.
    Auf dem Weg dorthin blieb sie vor einem gerahmten Foto ihrer Eltern stehen, das im Korridor an der Wand hing. Es zeigte ihre Mutter mit Schürze an der Seite ihres Mannes, der Uniform trug. Sie standen vor einem gepflegten zweigeschossigen Haus, demselben, in dem nun Kat lebte. Sie hatte es von ihren Eltern geerbt.
    Mit Blick auf das Foto ging ihr auf, dass ihr Vater ihr noch etwas anderes hinterlassen hatte – den Fall Charlie Olmstead mitsamt dem ganzen Rattenschwanz, den er nach sich zog.
    «Vielen Dank, Dad», murmelte sie. «Aber Bargeld wäre mir lieber gewesen.»

    Eric verbrachte den Rest des Tages in stummer Benommenheit. Nachdem Kat und Nick gegangen waren und die schreckliche Schautafel mitgenommen hatten, hatte er sich an den Schreibtisch gesetzt, etwas zum Essen zubereitet und ein weiteres Mal seinen Vater anzurufen versucht. Doch alles, was er tat, war wie von einem lähmenden Schleier aus Entsetzen und Hilflosigkeit verhangen. Der Bildschirm seines Laptops blieb leer, das Essen schmeckte nicht, und als sein Vater den Anruf nicht entgegennahm, verzichtete er darauf, eine weitere Nachricht auf Band zu sprechen.
    Wie zum Ausdruck seiner Niedergeschlagenheit fing es zu regnen an. Über die Stadt hatte sich ein nasser grauer Teppich gelegt. Der Himmel war so dunkel, dass Eric den Übergang vom Tag in die Nacht nicht bemerkte. Derweil prasselte unablässig der Regen aufs Dach.
    Es war kurz vor Mitternacht, als er sich vornahm, ins Bett zu gehen, obwohl er daran zweifelte, nach diesem Tag Schlaf zu finden. Für den Fall, dass er einschlafen würde, fürchtete er, in seinen Träumen von den Gesichtern der verschollenen Kinder heimgesucht zu werden.
    Auf dem Weg nach oben in sein altes Schlafzimmer fragte er sich, wie seine Mutter so lange mit ihrem Verdacht, der Schautafel und ihren Spekulationen hatte leben können. Wie viel Zeit hatte sie auf ihre dilettantische Detektivarbeit verwandt, und wie war sie überhaupt an diese Zeitungsausschnitte gekommen? Als er ins Bett kroch und die Augen schloss, sah er sie durch Bibliotheken in fernen Städten streifen, während er in der Schule gewesen war. Er stellte sich vor, wie sie, einer treulosen Ehefrau gleich, nervöse Blicke über die Schulter warf, ehe sie den Lesesaal betrat oder sich an ein Mikrofilmgerät setzte. Und er fragte sich, wie ihr wohl zumute gewesen war, wenn sie ein weiteres Opfer entdeckt hatte, das sie ihrer Collage beifügte, und ob sie jemals anderen von ihren Recherchen erzählt hatte.
    Schon fast schlafend, bat er Maggie im Stillen um Entschuldigung, nicht der Sohn gewesen zu sein, den sie sich gewünscht hatte oder den sie gebraucht hätte. Dafür, dass er für sie nicht der Beistand gewesen war, dem sie ihren Verdacht hätte anvertrauen können. Dafür, dass er im Alter von achtzehn Jahren mitten in der Nacht das Haus verlassen und nur eine kurze Nachricht auf dem

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