Totennacht (German Edition)
Brett in den Keller schaffte und dabei immer wieder schmerzhaft mit den Knien davorstieß, kam sie sich ein bisschen vor wie Maggie. Sie handelten in der gleichen Absicht: vor ihren Kindern die Wahrheit so lange wie möglich geheim zu halten.
Kat lehnte die Tafel an die Mauer aus Betonwerkstein und kehrte nach oben zurück, um ihren Laptop und ein Glas Wein zu holen. Sie konnte eine Stärkung gebrauchen. Auf dem kalten Boden hockend, schaltete sie den Rechner ein und stürzte sich in den Strudel der Informationen im Internet.
Als Erstes wollte sie in Erfahrung bringen, ob einer der Jungen von Maggies Tafel gefunden worden war. Fehlanzeige. Anschließend machte sie sich auf die Suche nach weiteren Entführungsfällen, die Maggie möglicherweise übersehen hatte. Dass sechs Jungen jeweils zum Zeitpunkt einer Mondlandung entführt worden waren, konnte nicht ausschließen, dass der Täter weitere Male zugeschlagen hatte. Die entsprechende Datenbank zu durchforsten nahm eine geschlagene Stunde in Anspruch und zerrte an den Nerven. In den meisten Fällen waren die als vermisst gemeldeten Kinder schon nach wenigen Stunden in der Obhut eines geschiedenen Elternteils wieder aufgefunden worden. Andere waren spurlos verschwunden geblieben, doch all diese Fälle schienen gänzlich anders gelagert zu sein als die, die Maggie dokumentiert hatte. Alter und Wohnort stimmten nicht überein, die Umstände sahen nicht nach einem Unfall aus, und es gab auch keinen zeitlichen Bezug zu irgendeinem Weltraumunternehmen.
Kat holte tief Luft und verschaffte sich Zugriff auf die Liste der bekannten Päderasten in Pennsylvania, aus der sie dann die Personen herausfilterte, die zwischen 1969 und 1972 wegen Missbrauchs an Jungen vor Gericht gestanden hatten. Übrig blieben immer noch erschreckend viele Namen, doch keiner stand in Zusammenhang mit Mordvorwürfen.
Als Nächstes versuchte sie, möglichen Motiven auf den Grund zu gehen. Wer Jungen ausgerechnet zum Zeitpunkt einer Mondlandung entführte, musste irgendwelche Gründe dafür haben.
Schon bald wurde ihr bewusst, dass die Entführungen womöglich die individuelle Ausprägung einer allgemein verrückten Zeit in der amerikanischen Geschichte sein konnten. In den späten sechziger und frühen siebziger Jahren waren jede Menge bizarrer Ereignisse geschehen. Ein paar Wochen nach Charlie Olmsteads Verschwinden hatten Mitglieder der kalifornischen Charles Manson Family eine Mordorgie veranstaltet. Wenig später hatte in Woodstock ein Festival stattgefunden, das Frieden, Liebe und Drogenexperimente propagierte.
Die Sechziger endeten mit einem Konzert in Altamont, das während eines Auftritts der Rolling Stones die dunkle Seite der Blumenkindergeneration hervorkehrte. Im Mai 1970 kam es zu dem erschütternden Massaker an der Kent State University, und als 1972 Bucky Mason verschwand, musste Richard Nixon wegen seiner Watergate-Affäre den Hut nehmen. Und wie ein empfangsgestörter Fernseher knisterte die ganze Zeit über im Hintergrund der Vietnamkrieg mit seiner endlosen Aufeinanderfolge schlechter Nachrichten und toter Soldaten, die aus dem dampfenden Dschungel eines fernen Landes in ihre Heimat zurückgeflogen wurden.
Kat legte eine Pause ein und füllte ihr Weinglas. Daran nippend, informierte sie sich über die weltweite Resonanz auf die Mondlandungen. Die Amerikaner jubelten, als Apollo 11 auf dem Mare Tranquillitatis – dem Meer der Ruhe – niederging. Schon ein wenig abgeschwächt war die Begeisterung bei der Landung von Apollo 12 . Ende 1972 – nach vier weiteren Mondexpeditionen – schien das Interesse gesättigt zu sein, und als mit Apollo 17 die letzte Mission gestartet wurde, krähte kein Hahn mehr danach.
Anscheinend mit Ausnahme einer Person, die in Pennsylvania ihr Unwesen trieb und kleine Jungen entführte. Für sie waren all diese Expeditionen Anlass, weitere Verbrechen zu begehen. Warum, das wollte Kat herausfinden.
Das Internet war voller Vorschläge. Sie erfuhr zum Beispiel, dass ein überraschend großer Anteil der Bevölkerung, was die Mondlandungen anging, an einen Schwindel glaubte. Andere waren davon überzeugt, dass die Astronauten von ihrem Spaziergang auf dem Trabanten ein unheilvolles Souvenir extraterrestrischen Ursprungs mitgebracht hätten. Kat hielt beide Gruppen für verrückt und fragte sich, ob auch die Entführung kleiner Jungen zu den Verrücktheiten dieser Kategorie zählte.
Außerdem gab es da die Beschwörer des Weltuntergangs, die mit den
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