Totennacht (German Edition)
ich arbeite wieder für die State Police?»
«Inoffiziell ja», antwortete Tony. «Wenn Gloria davon erführe, würde sie mir die Hölle heißmachen. Dabei war es genau richtig von dir, uns zu informieren. Wir stehen in deiner Schuld.»
Nick hätte gestehen sollen, dass er nur auf Kats Vorschlag hin Gloria Ambrose angerufen hatte, wollte aber Tonys großzügige Stimmung nicht verderben. «Wann haben die Kollegen aus Fairmount die Ermittlungen im Fall Kepner eingestellt?»
«Im Grunde laufen sie noch. Du weißt ja, wie das so ist.»
Ja, Nick wusste, wie sehr sich solche Fälle in die Länge zogen. Aus Tagen wurden Wochen, aus Wochen Monate, und die Polizei versprach den betroffenen Familien, nicht lockerzulassen. Aber das Leben ging weiter, und es geschahen neue Verbrechen. Man hatte sich um andere Fälle zu kümmern, und das Rätsel blieb letztlich ungelöst.
«Was hast du jetzt vor?», fragte Nick.
«Ich wollte mir den Lasher Mill State Park ansehen. Liegt eine Viertelstunde außerhalb der Stadt.»
«Ich weiß», sagte Nick. «Der ist auch meine nächste Station.»
Er war neugierig auf diesen Park, in dem Noah Pierce vierzehn Monate nach Dennis Kepner verschwunden war, an einem schneereichen Februartag, wie in den Zeitungsberichten zu lesen war. Der aus Florida stammende Junge hatte im Schnee spielen wollen. Aber warum nicht vor dem Haus seiner Großeltern in Fairmount, wo doch auch Schnee gelegen haben musste?
«Was hat ihn in den Park gelockt? Zum Spazierengehen war es doch bestimmt viel zu kalt?»
«Zum Spazierengehen, ja», erwiderte Tony. «Aber nicht zum Schlittenfahren.»
Die Frage, woher er das wusste, erübrigte sich. Er hatte auch den Polizeibericht im Fall Pierce gelesen.
Sie waren jetzt auf dem Weg, der mit einer leichten Linksbiegung durch den Kiefernhain führte. Das Geäst der Bäume griff so dicht ineinander, dass man den Eindruck hatte, durch einen Tunnel zu gehen. Der Ausgang auf der anderen Seite war nicht zu erkennen.
Das Gesträuch zu beiden Seiten streifte ihre Beine. Nick schlug es mit seinem Stock beiseite.
«Sind diese Bäume im Bericht über Dennis Kepner erwähnt?»
«Ja», antwortete Tony. «Es ist davon die Rede, dass sich mehrere Beamte auf Händen und Knien durch die Kiefernnadeln gepflügt haben.»
«Demnach standen die Bäume hier schon 1969.»
«Wenn es keine Kiefernnadeln geregnet hat, ja. Wieso fragst du?»
Nick berichtete, dass er die junge Frau mit dem Hund in den Wald gehen sehen und dann aus den Augen verloren hatte. «Vom Haus der Kepners aus ist das da ein toter Winkel.»
«Bin gespannt, welches Bild sich von der anderen Seite bietet», sagte Tony.
Er verließ den Weg und schlug eine Abkürzung rechter Hand durchs Dickicht ein. Der Boden stieg um etwa einen Meter an. Nick folgte und riskierte wissentlich, einen Zweig ins Gesicht zu bekommen.
Dass ihm das Malheur gleich zweimal passierte, hatte er nicht auf dem Schirm. Und weil er sich noch die Tränen aus den Augen wischen musste, gab er nicht acht, als er hinter Tony aus dem Wäldchen hervortrat.
«Nick, pass auf!»
Der Ruf kam von hinten. Tony war offenbar wieder zurückgesprungen, und links plärrte plötzlich eine Autohupe. Nick riss den Kopf herum und sah einen Lieferwagen von UPS auf sich zukommen. Im selben Augenblick spürte er Tonys Hand am Kragen, die ihn zurückzerrte.
Nick sah nun, dass die Straße unmittelbar am Waldrand entlangführte, ohne Böschung oder Randstreifen. Auf der anderen Straßenseite standen Reihenhäuser.
«Lebensmüde oder was?» Es war der UPS-Fahrer, der angehalten hatte. «Um ein Haar hätte ich dich erwischt.»
Nick winkte beruhigend mit der Hand. «Tut mir leid, war meine Schuld.»
Der Lieferwagen verdeckte den Blick auf die Häuser. Von dort aus, dachte Nick, wäre also auch die Stelle nicht zu sehen, an der er gerade stand. Wenn er jetzt in den Lieferwagen stiege, würde es niemand bemerken.
«Hey, Tony», sagte er, «ich glaube, ich weiß, wie Dennis Kepner verschwand.»
15
Als Kat an Glenn Stewarts Tür klopfte, erwartete sie nicht, dass er ihr öffnen würde. Vor jeder anderen Tür hätte sie angenommen, dass niemand zu Hause war. Doch hier lag der Fall anders. Der stadtbekannte Einsiedler musste zu Hause sein.
Aber er rührte sich nicht, auch nicht, als sie mit der Faust an die Tür hämmerte und rief: «Mr. Stewart, ich bin von der Polizei und muss mit Ihnen reden.»
Wie schon am Vortag gruselte ihr ein wenig. Sackgassen hatten oft etwas
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