Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Totennacht (German Edition)

Totennacht (German Edition)

Titel: Totennacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Todd Ritter
Vom Netzwerk:
seiner Mutter unter einem Dach zu leben. In dieser Düsternis und Stille.
    Wenn er an seine Kindheit zurückdachte, was nicht oft der Fall war, kam ihm zuallererst diese erstickende Stille in den Sinn. Stumme Mahlzeiten, stumme Geburtstage. Die einzigen Geräusche zu Weihnachten waren die von langsam zerreißendem Papier, wenn Eric seine wenigen Geschenke ausgepackt hatte. Darum hatte er sich an einen Ort gesehnt, an dem ununterbrochen Lärm herrschte. Er wollte sich von Polizeisirenen, Autohupen und grölenden Säufern in den Schlaf wiegen lassen.
    Womit er bei all seinen Plänen allerdings nicht gerechnet hatte, war ein hübsches Mädchen namens Kat Campbell, die im ersten Jahr an der Highschool war und eine Einzelgängerin zu sein schien, weil ihr das Rumhängen in Cliquen und die Quatscherei der anderen offenbar langweilig waren. Sie war attraktiv, aber nicht besonders auffällig. Was Eric für sie einnahm, war ihre offenbar angeborene Zähigkeit und Widerstandskraft. Sie pflegte, wenn überhaupt, nur Umgang mit den Außenseitern der Schule und schien vor niemandem Angst zu haben. Weder vor den Lehrern noch vor dem Direktor, auch nicht vor den älteren Schülern mit den dicken Brillengläsern, die Raymond Chandler lasen, obwohl es als schrecklich uncool galt, überhaupt zu lesen.
    Zuerst war er nur fasziniert von ihr, aber es dauerte nicht lange, und er hatte sich in sie verliebt, so sehr, dass er seine Fluchtpläne zu überdenken begann, zumal Kat seine Gefühle erwiderte. Als er zwei Monate mit ihr zusammen war, drängte es ihn nicht mehr, schon den Sommer in einer fremden Stadt unter fremden Menschen zu verbringen. Nach drei Monaten fragte er sich, ob Penn State nicht vielleicht doch die bessere Wahl war. Die Uni hatte einen durchaus guten Ruf und war von Perry Hollow nicht so weit entfernt. Er würde in Kats Nähe bleiben können.
    Am Abend vor der Schulabschlussfeier hatte er ein besonders aufregendes Date mit ihr gehabt. Sie waren ins Kino gegangen – ironischerweise lief Ferris macht blau – und hatten sich anschließend im Auto auf dem Parkplatz sehr viel Zeit füreinander genommen.
    Zu viel Zeit, wie sich herausstellte.
    Seine Mutter wartete auf ihn. Sie saß auf dem Sofa inmitten von geöffneten Briefumschlägen. Auf dem Teetisch lag seine Korrespondenz mit der NYU. Sie wusste Bescheid, war in Tränen aufgelöst und bezichtigte ihn, sich so feige wie sein Vater aus dem Staub machen zu wollen. Um sie zu trösten, versprach er, nicht nach New York zu gehen; er nahm sie in den Arm und versicherte, nirgendwohin zu gehen, sondern immer bei ihr zu bleiben.
    Was gelogen war.
    Noch während seine Mutter sich an ihm festhielt und ihre Tränen sein T-Shirt durchnässten, wusste Eric, dass er gehen musste, so schnell wie möglich. Wenn nicht, würde alles nur schlimmer werden. Er käme nie los von seiner Mutter, würde für sie immer der kleine Junge bleiben. Und Charlies Geist würde immer da sein, ein Gespenst, das in der erstickenden Stille des Hauses mehr und mehr Raum einnahm.
    An der Schulabschlussfeier nahm Eric innerlich kaum mehr teil. Seine Gedanken kreisten um das, was er in der Nacht würde tun müssen. Lächelnd nahm er sein Zeugnis entgegen und ließ sich damit ablichten. Er nahm seine Mutter in den Arm, gab ihr einen Kuss auf die Wange und versprach, sich auf der anschließenden Party anständig zu benehmen.
    Während der Party wurde ihm klar, dass er, um seiner Mutter zu entfliehen, auch Kat würde verlassen müssen. Und er wusste, wie weh er ihr damit tun würde und nicht zuletzt auch sich selbst. Trotzdem gab er sich heiter. Er tanzte, trank. Er saß mit seiner Freundin am Seeufer und sah voraus, dass sie ihn am Morgen wahrscheinlich hassen würde. Darum gestand er ihr seine Liebe, einfach so und ohne zu wissen, ob sie ebenso empfand wie er. Er musste es sagen, um ihr wenigstens etwas zu hinterlassen, an das sie sich gern würde erinnern können.
    Später in der Nacht setzte er seinen Plan in die Tat um: Er verließ die Stadt. Er fuhr nach New York, nahm sein Studium auf und beschloss schließlich, dort zu bleiben. Einen Großteil seines ersten Romans schrieb er in einem Café in der Nähe seiner ersten Wohnung. Er heiratete, ließ sich wieder scheiden und schrieb weitere Bücher. Er avancierte zum Bestsellerautor, verdiente viel Geld und kam zu bescheidenem Ruhm.
    Währenddessen versuchte er, das Verhältnis zu seiner Mutter zu kitten. Es dauerte Jahre, aber am Ende verzieh sie ihm. Und er

Weitere Kostenlose Bücher