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Totennacht (German Edition)

Totennacht (German Edition)

Titel: Totennacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Todd Ritter
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jedenfalls nicht, wenn man sich hier ein wenig auskannte.»
    Nick verstand, was der Alte meinte. Schließlich war es auch ihm gelungen, trotz des lädierten Knies. In besserer Verfassung wäre es ihm noch leichter gefallen. Um Camp Crescent zu betreten, brauchte man eigentlich nur zu wissen, dass es existierte. Mit anderen Worten, der Entführer von Dwight Halsey war nicht zufällig zur Stelle gewesen. Er hatte von dem Lager gewusst, sich in der Gegend ausgekannt, und, was noch wichtiger war, er war darauf vorbereitet gewesen, welche möglichen Opfer dort auf ihn warteten.

23
    Norm Harper schnäuzte sich, warf einen Blick in sein Taschentuch, schien überrascht und stopfte es zurück in die Hemdentasche. Alte Männer durften sich solche Unmöglichkeiten leisten. Und Norm war so alt, dass man ihm fast alles nachgesehen hätte.
    «Mort und Ruth Clark. Ich erinnere mich an die beiden. Nettes Paar.»
    «Das sagen alle», bestätigte Kat.
    Sie saß ihm im Perry Hollow Diner gegenüber, zwei Sitznischen von seinem Stammplatz in der Ecke entfernt. Die anderen Mitglieder der Coffee Crew – fünf alte Männer in karierten Hemden, Khakihosen und mit der Duftnote von Aqua Velva – waren ebenfalls zugegen und warfen Kat böse Blicke zu, weil sie es gewagt hatte, ihr immerzu missmutiges Oberhaupt zu entführen.
    Norm seinerseits schien nichts dagegen zu haben. Im Gegenteil, er fühlte sich sichtlich wohl in ihrer Gesellschaft, was wiederum Kat ein wenig verunsicherte.
    «Wie gut kannten Sie die beiden?», fragte sie.
    «So gut wie jeden anderen in dieser Stadt. Schauen Sie sich um. Es wird viel geredet, und man hört einiges.»
    «Was war über die Clarks zu hören?»
    Norm nahm eine Gabel zur Hand und machte sich über sein Frühstück aus Spiegeleiern, Speck und Toast her. «Dieser Mort war wohl ein bisschen paranoid.»
    So viel hatte Kat auch schon herausgefunden. Wer sich einen Bunker zulegte, rechnete stets mit dem Schlimmsten.
    «Und Ruth?»
    «Eine prima Frau», antwortete Norm. «Machte die besten Zitronenbaisers im ganzen Land.»
    Kat nahm einen Schluck Kaffee und fing an zu bedauern, sich auf ein Gespräch mit Norm Harper eingelassen zu haben. Neues war von ihm offenbar nicht zu erfahren. An anderer Stelle hätte sie ihre Zeit besser nutzen können.
    Zum Beispiel im Gespräch mit ihrem Sohn.
    Am Morgen war es wie gewohnt hektisch zugegangen. Sie hatte das Lunchpaket fertig gemacht, in eine braune Tüte gesteckt und mit einem Magic Marker James’ Namen daraufgeschrieben, in der Hoffnung, potenzielle Diebe abzuschrecken.
    Was aber nicht half. Als sie ihn vor der Schule absetzte, wiederholte der Junge, was er auch schon am Donnerstag getan hatte. Nur diesmal nicht vor ihren Augen. Dafür war James zu clever. Er tat es, als Kat schon wieder weggefahren war, ahnte aber nicht, dass Lou van Sickle heimlich an der Ecke geparkt hatte und alles mit ansah.
    Auf dem Parkplatz des Diners, wo sich die beiden Frauen anschließend trafen, bestätigte Lou Kats Befürchtungen. James hatte sein Mittagessen wieder im Papierkorb verschwinden lassen, ehe er die Schule betrat. Er schien darauf gefasst zu sein, dass man ihn weiter schikanierte.
    «An deiner Stelle würde ich mir nicht allzu viele Sorgen machen», sagte Lou auf dem Weg zum Revier. «Jungs sind nun mal so.»
    «Aber warum müssen sie so gemein sein?»
    «Liegt wahrscheinlich in der menschlichen Natur.»
    Trotzdem sah sich Kat genötigt einzugreifen. Ihr war klar, dass James lernen musste, sich zu behaupten, da er irgendwann einmal auf sich allein gestellt sein würde. Aber dass ihr Junge gequält wurde, während sie nun Norm Harper dabei zusah, wie er sein Spiegelei schlürfte, war für sie kaum zu ertragen.
    «Ist das alles, woran Sie sich erinnern?», fragte sie. «Die Clarks waren also ein nettes Paar.»
    «Ja. Und sie haben weiß Gott nicht verdient, was mit ihrer Tochter passiert ist.»
    Eine Tochter. Das Wort löste in Kats Gehirn eine Reaktion aus, die mit der Wirkung einer im Wasser explodierenden Granate vergleichbar war. Zuerst gab es nur einen Lichtblitz, als ihr aufging, für wen das dritte Bett im Bunker bestimmt gewesen war. Und dann drängten sich hundert verschiedene Fragen in ihrem Kopf.
    «Warum haben Sie mir nicht sofort gesagt, dass die Clarks eine Tochter hatten?»
    Norm nahm sich das zweite Spiegelei vor. «Danach haben Sie nicht gefragt.»
    Er stopfte das Ei in den Mund und beschmierte sich mit dem Dotter, was Kat unerwähnt ließ, aus Angst, dass er

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