Totennacht (German Edition)
Fingern. «Das war’s.»
Kat griff zu ihrer Geldbörse und warf einen Zwanziger vor Norm auf den Tisch. Für sein Frühstück, ihren Kaffee und ein großzügiges Trinkgeld für die gestresste Kellnerin. «Ich muss gehen», sagte sie. «Vielen Dank für die Informationen.»
«Wissen Sie jetzt genug?», fragte Norm.
Durchaus, dachte Kat. Sie wusste jetzt, dass Mort und Ruth Clark eine Tochter gehabt hatten, die mit Maggie Olmstead befreundet und in Florida ertrunken war, und dass dieser undurchsichtige Glenn Stewart offenbar den Mond anbetete.
Die Küche sah aus, als hätte ein hungriger Grizzly darin gewütet. Die Kühlschranktür stand offen, aus einem umgestoßenen Tetrapack tropfte klebriger Orangensaft auf den Linoleumboden, zwei Schränke waren geöffnet und sämtliche Schubläden herausgezogen. Doch soweit Eric auf den ersten Blick erkennen konnte, waren die Lebensmittel nicht angerührt worden. Sein Vater hatte nach Alkohol gesucht und jeden Tropfen, den er finden konnte, getrunken beziehungsweise verschüttet.
Beim Aufräumen entdeckte Eric eine leere Weinflasche unter der Anrichte. Das vor zwei Tagen gekaufte Sixpack Bier war komplett getrunken. Und neben der Spüle standen aufgereiht sämtliche Likörflaschen, die seine Mutter hinterlassen hatte, die meisten davon über zehn Jahre alt und nur noch mit Restbeständen, die jetzt bis auf den letzten Tropfen aufgebraucht waren.
Ken lag immer noch oben im Bett. Einmal hatte Eric ihn ins Badezimmer stürzen hören, offenbar gezwungen von den Folgen seiner nächtlichen Umtriebe. Eric ignorierte die Geräusche, die er hörte, und räumte weiter auf, erfüllt von der traurigen Resignation, die für Kinder von Alkoholikern typisch war.
Eric wusste nicht mehr, ob Ken schon vor oder erst nach der Scheidung angefangen hatte zu trinken. Beides, der Alkoholismus und das Zerwürfnis, war jedenfalls schon vor seinem vierten Lebensjahr ein unverrückbares Faktum gewesen. In späteren Jahren hatte er jeden Sommer eine schreckliche Woche bei seinem Vater verbringen müssen. Der hatte den Sohn dann mit seinem Laster abgeholt und ihn in irgendeinen Wohnwagen oder eine Bretterbude in einer gottverlassenen Gegend gebracht. Immer war auch eine weibliche Person mit im Spiel gewesen, eine zumeist billige, aber gutmütige Frau, die ihr Haar blond färbte und es sich ansonsten gut gehen ließ. Namen und Gesichter wechselten, aber im Grunde blieb alles gleich.
Als Eric in der Küche wieder halbwegs Ordnung geschaffen hatte, trat er auf die Veranda hinaus und steckte sich eine Zigarette an. Wie erwartet, stand der Brummi seines Vaters vorm Haus.
Ken war eigentlich zu alt, um als Trucker sein Geld zu verdienen, machte aber trotzdem weiter. Er sagte, er könne es sich nicht leisten, in den Ruhestand zu gehen, was zweifellos zutraf. Aber mit dreiundsiebzig noch mit dem Truck über die Highways zu düsen war ebenso unmöglich.
Zumal mit einem solchen Ungetüm: schwarz lackiert und mit orangefarbenen Flammen an den Seitenwänden. Eric erinnerte sich an die Fahrten darin. Der Lärm, das Gerumpel und die Kraft der Maschine hatten ihm Angst eingejagt oder vielleicht auch der Umstand, dass sein Vater nie ganz nüchtern gewesen war, wenn er am Steuer saß. Wenn nachts mal das Telefon klingelte, hatte Eric immer damit gerechnet, dass jemand anrief, um mitzuteilen, dass sich sein Vater zu Tode gefahren hatte.
An diesem Morgen parkte der Laster jedoch vorschriftsmäßig am Straßenrand, was darauf schließen ließ, dass sein Vater erst im Haus angefangen hatte zu saufen. Irgendwie tröstete Eric das ein wenig.
Er zog ein letztes Mal an der Zigarette und wollte zurück ins Haus gehen, doch aus Versehen stieß er an ein Hindernis rechts neben der Tür. Es war ein Schuhkarton, ähnlich dem, den Glenn Stewart vergraben hatte. Doch auf diesem lag kein Dreck, sondern nur die vom Briefträger gebrachte Post.
Eric hob ihn auf. Es behagte ihm nicht, einen weiteren Karton öffnen zu müssen. Die Suche nach seinem Bruder schien ihn von einer Kiste zur nächsten zu führen, in die er schauen musste. Doch wie immer war die Neugier stärker als alles andere. Er lüftete den Deckel.
Über den Kartonboden rutschte eine Filmspule. Daran hing ein Zettel, beschrieben von Frauenhand.
Eric warf einen Blick an dem Lastwagen vorbei auf das Haus der Santangelos, wissend, in welchem Zimmer Lees Trophäen aufbewahrt wurden, jene Andenken an ein selbstgefälliges Leben, an dem seine Mutter Anstoß genommen
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