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Totennacht (German Edition)

Totennacht (German Edition)

Titel: Totennacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Todd Ritter
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sehen, die in einer offenen Hand gehalten wurde.
    «Was hat es mit dem zweiten Foto auf sich?», fragte Kat.
    «Das ist eine Art Glücksbringer», antwortete der Professor. «Wird häufig als Grabbeigabe verwendet, die dem Toten einen Platz im Himmel sichern soll. Wer ohne diesen Talisman begraben wird, ist verdammt, als Gespenst auf der Erde zu bleiben.»
    «Wir reden jetzt nicht von der Art Himmel, an den auch die Christen glauben, oder?»
    «Richtig», erwiderte der Professor. «Die Anhänger vonhaben eine andere Vorstellung vom Jenseits.»
    «Und wie sieht die aus?»
    «Haben Sie meine E-Mail noch geöffnet vor sich?»
    «Ja», antwortete Kat.
    «Dann schauen Sie sich noch einmal das erste Foto an.»
    Kat scrollte zurück auf das Bild des vollen Mondes über dem Dschungel. Sterne waren darauf nicht zu erkennen, nur die leuchtende Kugel im nächtlichen Schwarz. Den Blick auf dieses Foto gerichtet, ging auch ihr allmählich ein Licht auf.
    «Soll das heißen, der Mond ist ihr Himmel.»
    «Ja. Sie glauben, dass ihre Seelen zum Mond geführt werden, wo sie bis in alle Ewigkeit in warmem weißem Licht baden.»
    Glenn Stewart hatte die Mondlandungen verteufelt. Jetzt verstand Kat, was sie anfangs nur verwundert hatte. Wenn er tatsächlich ein Anhänger vonwar, musste er für verwerflich halten, dass die NASA Raumfähren auf seinem Himmel absetzte. Und für diesen Tag war wieder eine solche frevlerische Landung geplant.
    «Sind diese Hirngespinste als Religion ernst zu nehmen?», fragte Kat. «Was sagen Sie als Experte dazu?»
    «Als Forscher steht es mir nicht zu, die Glaubensvorstellungen anderer Völker zu bewerten. Aber in diesem Fall kann man, denke ich, von einem Mondkult sprechen.»
    Beide Wörter zusammen – das eine harmlos, das andere nicht – bewirkten, dass Kat ein kalter Schauer über den Rücken lief, genau wie bei dem Gedanken, dass Erics Nachbar offenbar ein Anhänger dieses Kultes war. Und was der Professor als Nächstes sagte, verursachte bei ihr eine Gänsehaut.
    «Darf ich fragen, was Sie zu Ihren Recherchen veranlasst hat? Die meisten Anhänger dieses Kultes sind zwar recht friedlich, aber wir wissen, dass sie zu einer Gefahr werden können.»
    «Einer Gefahr? Wie ist das zu verstehen?»
    «Schauen Sie sich bitte das letzte Foto an.»
    Kat scrollte nach unten, bis sie das dritte und letzte Foto in der Mail auf dem Bildschirm hatte – eine Schwarzweiß-Aufnahme von einem Jungen, der schlafend auf einem Bett aus Steinen, Zweigen und Blättern lag.
    «Dieses Foto wurde im Mai 1940 aufgenommen, in einem kleinen Dorf nahe My Lai», erklärte der Professor. «In einem Monat mit zwei Vollmonden.»
    «Dem sogenannten Blauen Mond?»
    «Richtig», bestätigte Professor Reid. «Nicht nur bei uns, sondern auch in vielen anderen Ländern wird der zweite Vollmond eines Monats als Blauer Mond bezeichnet. Die Anhänger vonsprechen allerdings in diesem Zusammenhang von einem– von einem Unheilvollen Mond. Sie halten den zweiten Vollmond eines Monats für eine trügerische Erscheinung und nicht für den wahren Himmel, der die Seelen ihrer Lieben aufgenommen hat.»
    «Sondern was?»
    «Sondern böse Geister, die angeblich nur mit einem Mittel zu vertreiben sind.»
    Kat suchte auf dem Foto nach Einzelheiten, die sie auf den ersten Blick nicht weiter beachtet hatte. Weiße Blumen schmückten das Bett. Der Junge, um die zehn Jahre alt, lag ausgestreckt auf dem Rücken, die Hände vor der Brust gefaltet. Zwischen den Fingern steckte ein flaches rundes Etwas, der Glücksbringer für die Toten.
    «Bitte, sagen Sie mir jetzt nicht, dass ich auf ein Menschenopfer blicke.»
    «Es ist leider so», erwiderte der Professor. «Die Anhänger des Mondkultes glauben, dass nur der Tod eines unschuldigen Jungen den Unheilvollen Mond besänftigen kann.»
    Mit einem entschiedenen Mausklick schloss Kat die E-Mail. Sie konnte den Anblick des Fotos nicht länger ertragen. Allein der Gedanke schmerzte sie und jagte ihr zugleich Angst ein.
    Ihre Angst wurde zusätzlich geschürt, als Professor Reid sagte: «Wenn Sie einem dieser Anhänger begegnet sind, wovon ich ausgehe, rate ich Ihnen dringend zur Vorsicht. Wie gesagt, die meisten sind harmlos. Aber an einem Tag wie dem heutigen könnte ein Fanatiker gefährlich werden, gefährlicher, als wir es uns vorstellen können.»

    Eine Minute später erhielt Kat einen Anruf von Eric Olmstead. Eigentlich wollte sie nicht mit ihm reden; sie hatte nicht die Zeit dazu. Viel drängender waren ein

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