Totenpech
gab
es kaum noch Händler, geschweige denn Touristen. Lina bekam es mit der Angst zu
tun. »Nein!«, sagte sie bestimmt »Ich muss erst zurück.«
Doch was sie wollte, schien den Mann herzlich wenig zu
interessieren. Er packte Lina wieder an der Hand und zog sie die schmutzige
Gasse hinunter in einen Hinterhof hinein. Tatsächlich gab es hier auch einen
kleinen Laden, und er war voll mit geschnitzten Figuren aus Kamelknochen. Eine
alte Frau, ganz in Schwarz gekleidet, saà auf einer Steintreppe, zu ihren FüÃen
stromerten ausgemergelte Katzen herum und beäugten neugierig den Neuankömmling.
Obwohl Lina ihr Gefühl sagte, nicht dort hineinzugehen, tat sie es. Sie sah
sich noch einmal um, ob Daniel Lina ihr doch gefolgt war, aber er war nirgendwo
zu sehen. Der Mann würde sie hoffentlich gleich wieder zurückbringen. Schon
hielt ihr der Händler ein paar geschnitzte Skarabäen hin und legte ihr einen in
die Hand. »Luck«, sagte er auf Englisch. »Misses, lot of luck.«
»Ja, der ist sehr schön. Aber ich komme besser gleich wieder.« Sie
wollte gerade aus dem Laden gehen, als Daniel um die Ecke bog. Er sah völlig
verzweifelt aus. Dann entdeckte er sie in dem kaum beleuchteten Lädchen. Zuerst
schien er erleichtert, sie gefunden zu haben, doch im nächsten Augenblick
veränderte sich schlagartig sein Gesichtsausdruck. Er rief ihr etwas zu,
fuchtelte mit den Armen in der Luft herum, aber Lina konnte ihn nicht verstehen.
Warum kam er nicht rein zu ihr?
Plötzlich hielt sie jemand am Arm fest. Sie wollte gerade
protestieren, als ihr der Mund zugehalten wurde. Sie schmeckte Salz und Dreck.
Von hinten riss jemand ihren Kopf zur Seite und stach ihr etwas in den Hals.
Der Laden fing an, sich um sie zu drehen. Die Teppiche an den Wänden fuhren
Karussell. Lina verlor jegliche Körperkontrolle. Sie sackte zusammen. Dann
wurde es dunkel um sie herum.
75. KAPITEL
Ronald Walter hatte einen neuen Freund. Es war der
Wachhund des Museums, der nachts seine Runde machte und alles andere als
gefährlich war. Er hatte am Fuà des Seziertisches geschlafen und ihn morgens
schwanzwedelnd begrüÃt. Wahrscheinlich war er froh über die Gesellschaft
gewesen. Bis das Museum geöffnet wurde, hatte sich Ronald Walter auf der
Toilette versteckt und war dann mit der Menschenflut unauffällig im Keller
verschwunden.
Dort hatte er sich dem Team kurz vorgestellt und angefangen, alte
Schüsseln, Vasen und Statuen abzustauben, hatte die einzelnen Objekte mit einer
Nummer versehen, Fotos davon gemacht und alle Daten, wie Umfang, Breite, Höhe,
Farbe, in ein groÃes Buch geschrieben. Seine neue Tätigkeit hier machte ihm
SpaÃ, aber seine Gedanken kreisten wie ein Perpetuum mobile um das, was sich
gestern im Keller abgespielt hatte.
Die Büste schien ihn zu verfolgen, obwohl er auf einem anderen
Kontinent saÃ. Sollte das ein Zeichen für ihn sein? Er vermutete, dass die
Büste irgendwo hier unten im Keller versteckt war. Was wäre, wenn er sie
einfach entwendete? Es wäre noch nicht einmal Diebstahl, denn der rechtmäÃige
Besitzer saà in Deutschland. Würde man ihn verdächtigen? Würde man überhaupt
Aufsehen darum machen oder darüber schweigen, weil es Diebesgut war? Eine
interessante Frage, fand Ronald Walter. Auf der anderen Seite, wenn er das
Diebesgut wieder zurück nach Deutschland bringen würde, wäre er ein Held. Man
würde über ihn, einen verkannten Superarchäologen, in allen Zeitungen
schreiben. Man würde ihn auf Ausgrabungen einladen, seine Meinung hören wollen
⦠ach, was dachte er sich denn? Er würde Ãgypten nach solch einer Aktion nie
wieder betreten dürfen, dafür würde dieser Kamal Alawar schon sorgen. Er
entschloss sich, auf ein weiteres Zeichen zu warten und erst dann zu handeln.
Ronald Walter verlieà am frühen Abend als Erster seinen
Arbeitsplatz, weil er sich noch einmal bei der Direktorin für den neuen Job
bedanken wollte. Er kam gerade von der Toilette wieder, als ihm einfiel, dass
er seinen Pullover unten im Keller vergessen hatte, in den er seine Brieftasche
eingewickelt hatte. Er hoffte, dass seine einheimischen Kollegen keine
Langfinger waren. Wie unbedacht von ihm, schalt er sich selbst.
Die Tür zum Keller war offen, und das Licht brannte nach wie vor. Es
war also noch jemand da. Doch als er an die Stelle kam, wo er den ganzen Tag
gearbeitet hatte,
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