Totenpech
und waren ins
Mena House Oberoi gefahren. Dort hatten sie den Nachmittag am Pool verbracht,
und abends waren sie essen gegangen.
Lina war nicht gerade traurig über den überraschenden Wechsel
gewesen, ganz im Gegenteil.
Sie sah aus dem Fenster und schaute direkt auf das beleuchtete
Weltwunder. Morgen wollte Daniel mit ihr die Pyramiden besichtigen. Allerdings
interessierte sie jetzt mehr, wo er steckte. Sie zog sich an, schnappte sich
die Zimmerkarte und verlieà das Zimmer. Lina huschte lautlos über den mit einem
dicken Teppich ausgelegten Flur und hoffte, dass sie jeden Augenblick Daniel
begegnen würde. Im Restaurant saà niemand mehr, nur aus der Bar hörte sie Musik
und Stimmen. Doch Daniel war nirgendwo zu sehen. War er vielleicht schwimmen
gegangen? Am Pool sah sie zwei Leute. Sie waren die Einzigen. Daniel erkannte
sie sofort an seiner Gestik und am Gang. Er war offenbar über irgendetwas aufgebracht,
denn er lief vor der Person, die auf einem Liegestuhl saÃ, auf und ab. Was
sollte das hier werden? Daniel hatte nicht erwähnt, dass er hier jemanden
kannte. Sie sah sich um, ob sie unauffällig noch näher an die beiden
herankommen könnte. Leider saÃen die beiden ziemlich in der Mitte der Anlage,
und nirgendwo gab es Büsche, hinter denen sie sich hätte verstecken können. Sie
ging wieder zurück aufs Zimmer und legte sich ins Bett, als sie die Phiole auf
Daniels Nachttisch liegen sah. Sie robbte sich übers Bett und griff danach. War
der Inhalt weniger geworden, oder bildete sie sich das nur ein? Sie öffnete sie
und roch vorsichtig daran. Doch die Flüssigkeit war farb- und geruchlos. Sie
legte sie wieder an den gleichen Platz zurück und versuchte einzuschlafen. Noch
eine Ewigkeit wälzte sie sich hin und her, bis sie schlieÃlich in einen
traumlosen Schlaf fiel.
72. KAPITEL
Der Sonnenaufgang wurde von den ersten quäkenden Rufen
eines Muezzins von einem Minarett in der Nähe des Hotels begleitet. Lina schlug
die Augen auf und sah neben sich. Die Bettseite war wieder leer, doch Geräusche
aus dem Bad verrieten ihr, dass Daniel da war. Sollte sie ihn wegen des
nächtlichen Rendezvous zur Rede stellen? Auf der anderen Seite hatte er sie
hierher eingeladen und war ihr keine Rechenschaft schuldig. Sie schluckte ihren
Ãrger hinunter und stieg aus dem Bett.
»Guten Morgen, Schönheit.« Er griff nach seiner Jeans und sah Lina
verwundert an. »Was ist? Schlecht aufgestanden?«
»Nein. Alles in Ordnung«, sagte Lina kühl und verschwand im Bad.
»Sieht aber nicht danach aus«, hörte sie Daniel durch die geschlossene
Badezimmertür sagen. Drei Mal ein- und ausatmen, ermahnte sie sich selbst. Du
bist nicht seine Geliebte. Aber was war sie dann? Eine Puta?
Sie riss die Tür auf und sagte: »Okay, was bin ich für dich? Ich
meine erst das komische Verhalten im Museum, dann der Hotelwechsel, und gestern
Nacht sitzt du drauÃen am Pool und unterhältst dich mit irgendjemandem.«
»Spionierst du mir nach?«
»So nennst du das, wenn ich nach dir suche, weil du nicht neben mir
liegst?«
Daniel hob beschwichtigend die Hände. »Tut mir leid. Das muss alles
etwas eigenartig für dich aussehen. Ich weiÃ.«
Er setzte sich aufs Bett und knöpfte sein Hemd zu.
»Das ist es in der Tat. Ich komme mir ziemlich bescheuert vor.«
»Was soll ich sagen?«
»Am besten die Wahrheit.«
»Okay, meine Ex verfolgt mich. Sie lässt mich nicht in Ruhe. Erst
erschien sie im Museum, dann gestern hier im Hotel.«
»Deine Ex? Hier in Kairo? Ich meine, das finde ich irgendwie ⦠Was
macht sie denn hier?«
Lina fehlten die richtigen Worte. War Daniels Frau nicht gestorben?
Er hatte ihr nicht erzählt, dass er wieder geheiratet hatte. Das erklärte
natürlich so einiges. Hatte er vielleicht die Geschichte mit seiner Mutter auch
nur erfunden? Konnte er deshalb nicht mit ihr schlafen, weil ihn sein
schlechtes Gewissen plagte?
»Lina, lass uns den Tag genieÃen und morgen früh von hier
verschwinden.« Daniel sah sie traurig an, sodass Lina auch nicht weiter in ihn
drang. Er nahm sie fest in den Arm und gab ihr einen Kuss auf die Stirn.
Sie fuhren nicht direkt zu den Pyramiden, sondern in ein nahe
gelegenes Dorf, wo sie zwei Pferde mit Führer mieteten. Sie ritten quer durch
das Dorf, begafft von den Bewohnern. Schmutzige Kinder liefen neben und hinter
den Reitern her,
Weitere Kostenlose Bücher