Totenpech
streckten die Hände bettelnd aus und grölten sich etwas zu.
Lina fühlte sich zunehmend unwohl.
Endlich passierten sie ein Tor, und vor ihnen lag die Wüste.
Ockerfarbene Sandhügel erstreckten sich, so weit das Auge reichte. Und nicht
nur das. Wo man auch hinsah, lag Müll. Flaschen, Tüten, leere Coladosen, sogar
ein halb verwestes Pferd lag im Sand. Von den Pyramiden keine Spur. Der Führer
gab seinem Pferd die Sporen, und ihre beiden Pferde fielen ebenfalls in den
Galopp ein. Lina war keine Reiterin und hatte groÃe Schwierigkeiten, sich mit
ihren Sandalen auf dem Pferd zu halten. Nach zehn Minuten hatte sie sich die
FüÃe an den Steigbügeln wundgerieben, nach elf stieg sie ab und weigerte sich
weiterzureiten. Daniel schüttete sich aus vor Lachen und zog Lina kurzerhand zu
sich aufs Pferd. Eine angenehme Alternative, fand Lina. Zwischen Daniels Armen
fühlte sie sich um einiges sicherer.
Von einem der höchsten Hügel konnten sie eine halbe Stunde später
die Pyramiden in ihrer ganzen Pracht sehen. Trauben von Menschen, die aus
Bussen zu den Monumenten strömten, sahen von hier wie kleine Insekten aus. Eine
Weile blieben sie dort stehen, nahmen das Panorama in sich auf, und Lina
bereute es zutiefst, dass sie keinen Fotoapparat dabei hatte.
Der Tempel, der sich als Aussichtsplattform hervorragend
eignete, um die Sphinx in ihrer ganzen GröÃe zu bewundern, war voller
Touristen, die sich in kurzen Hosen, ärmellosen Hemden und mit Kameras darum
drängten, einen freien Platz für ein optimales Foto zu ergattern. Am FuÃe der
Sphinx war alles abgesperrt. Es wurde darauf hingewiesen, dass dort Ausgrabungsarbeiten
stattfanden und der Zugang nicht gestattet war.
Als ein Händler mit gelbem Zahnbelag ihr eine Statue vor die Nase
hielt und penetrant auf sie einredete, war Lina komplett bedient. Daniel
scheuchte den Mann weg. Schnurstracks steuerte er auf zwei andere Touristinnen
zu.
Dieser ehrwürdige Ort hat die Mystik der Vergangenheit verloren,
dachte Lina traurig.
»Du siehst so enttäuscht aus.«
»Bin ich auch.«
»Zu viele Menschen, die diese mächtigen und geheimnisvollen Bauten
zu einer simplen Touristenattraktion werden lassen, stimmtâs?«
Ja, Daniel hatte es auf den Punkt gebracht, hatte ihre Gedanken
ausgesprochen.
Er nahm Lina an der Hand und zog sie durch die Menschenmenge zurück
zu den Pferden. Dort bezahlte er den Führer, und die beiden stiegen in ein
Taxi.
73. KAPITEL
Côte dâAzur   Das
Haus an der Côte dâAzur mit den blauen Fensterläden gehörte einer französischen
Familie, die es nur einmal im Jahr nutzte, wenn überhaupt. Den Rest der Zeit
stand es leer. Die Hausherrin war überrascht, dass man eingebrochen hatte, da
es dort keine Wertgegenstände gab, die das gerechtfertigt hätten. Die
Gendarmerie entdeckte an der Hinterseite des Hauses ein eingeschlagenes
Fenster, sonst gab es keine sichtbaren Spuren eines Verbrechens.
Das Fenster reichte Sam aus, um zu wissen, dass Aethel dort gewesen
war. Und da sie bisher immer noch nicht aufgetaucht war, stand für ihn fest,
dass jemand die Engländerin dort hingelockt und sie beseitigt hatte. Man hatte
die nähere Umgebung abgesucht, aber keinen Leichnam gefunden.
Die Hafenmeistereien gaben die Namen der Boote heraus, die an dem
besagten Tag dort vor Anker lagen. Und die Küstenwache untersuchte sämtliche
Fischkutter, die sich in der Nähe aufhielten.
Sam sah sich die Faxe an, die in den letzten Stunden nacheinander
eingetrudelt waren, und verglich sie mit einem, das er aus Mallorca bekommen
hatte. Eine Jacht, einen Fischkutter, eine Villa, alles auf ein und denselben
Namen. Joe Nassour.
»Joe Nassour?« Sam sprach den Namen ein paarmal laut vor sich hin.
Wo hatte er den Namen schon mal gehört? Oder hatte er ihn gelesen? Er holte die
zusammengefaltete Akte aus seiner Innentasche und blätterte die Artikel durch,
überflog konzentriert die Texte und Namen. Dann hielt er plötzlich inne. Sam
nickte, als er noch einmal den Artikel las, Wort für Wort in sich aufnahm und
dabei wusste, dass die Schlinge sich langsam immer enger zog.
74. KAPITEL
Kairo   Nach fast
zwei Stunden Fahrt bogen sie in eine enge StraÃe ein, an der seitlich die
Ausläufer der islamischen Altstadt zu sehen waren. Geschäfte mit Kupferpfannen,
Lampen, Töpfen, Vasen, Teppichen, Stoffballen und Eimern von
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