Totenpech
Wasser aus dem Wasserhahn.
Zumindest stand nun fest, dass es kein Versehen war, dass Senners
Jachten benutzt worden waren. Offensichtlich war er genauestens im Bilde
gewesen. Hatte man Senner beseitigen wollen, weil er seinen »Service«, wie er
sagte, eingestellt hatte? Wahrscheinlich seinen Jachtservice, der für
irgendwelche abscheulichen Taten herhielt, oder ⦠und das war die weniger gute
Variante, der Mord an Senner war tatsächlich nur ein Unfall gewesen, und die
beiden Fälle hatten nichts miteinander zu tun. Was eher für den Unfall sprach,
war, dass der Dieb unbewaffnet ins Haus eingedrungen war. Ein leerer Haken an
einer Wand, an der noch andere altertümliche Waffen hingen, war ein Indiz
dafür. Sam betrachtete sich im Spiegel und spielte noch einmal die Worte im
Kopf ab. »Ein Geben und Nehmen.« Was hatte Senner für seinen Service bekommen?
Irgendetwas, das mehr Wert für ihn hatte als Geld, denn davon hatte er genug.
Menschliche Dienstleistungen? Schmutzigen Sex? Oder etwas, das man nicht so
einfach kaufen konnte? Er war ein leidenschaftlicher Sammler antiker
ägyptischer Kunstgegenstände gewesen. War das die Bezahlung? Etwas, das man
legal nicht erwerben konnte?
18. KAPITEL
Die Frau sah zufrieden auf ihr Werk. Auf dem
Stahltischchen lagen in einer Schüssel die beiden Augäpfel des Mannes, dessen
Namen sie nicht einmal kannte und der sie auch nicht weiter interessierte. Sie
überlegte, ob sie kleine Zwiebeln oder nur Leinenbällchen in die Höhlen stopfen
sollte. Sie entschied sich schlieÃlich für die Zwiebeln.
Dann nahm sie eine Zange, öffnete den Mund des Toten, zog einzeln
die Zähne heraus und ersetzte sie durch alte vergilbte von Toten. Sie hatte
eine ganze Batterie davon zur Auswahl. Diese Idee hatte sie erst vor fünf
Jahren gehabt. Davor war ihre Arbeit doch noch sehr dilettantisch gewesen.
Am meisten Spaà an der Sache machte ihr immer der erste Akt, wenn
die Ware hereingebracht und auf den Tisch gebunden wurde. Dann der angstvolle
Blick, die lautlose Frage: Was soll das? Wo bin ich? Der letzte Funke Hoffnung,
wenn sie sie zu überzeugen versuchten, dass es sich hier um einen Irrtum
handeln musste. Und dann, wenn die Erkenntnis sie einholte, dass sie gleich den
letzen Atemzug machen würden. Manchmal lieà sie ihre Opfer vorher sterben, das
war dann etwas unblutiger, aber dann gab es auch Tage, da genoss sie es, wenn
sie schrien und sich wanden vor Schmerzen. Sie hatte da inzwischen eine ganz
ausgefeilte Technik entwickelt. Sie begann vor sich hin zu summen. Es war das
Lied, das ihr Vater ihr vor dem Zubettgehen immer vorgesungen hatte. Dabei
konnte sie sich am besten konzentrieren. Sie wollte diese Arbeit hier schnell
beenden, denn unten wartete bereits ein besonders schönes Exemplar auf sie.
19. KAPITEL
Aethel saà seit zwei Stunden in einem Langstreckenbus von
London nach Amsterdam und bereute es jetzt schon, die billigste Methode gewählt
zu haben, die eigentlich auch noch die am wenigsten bekannte war. Sie hatte
gedacht, dass wegen der vielen günstigen Reisemöglichkeiten heutzutage der
halbe Bus ihr gehören würde. Leider hatte sie sich geirrt. Der Bus war bis auf
den letzten Platz ausgebucht, sodass sie wohl oder übel auch noch die nächsten
neun Stunden, die die Reise dauern würde, ihren ungepflegten Sitznachbarn
ertragen musste, der seit Beginn der Fahrt schmatzend auf etwas herumkaute, mit
dem Kopf zu irgendeinem Takt wippte und auf einem Bein herumklopfte wie auf
einer Trommel.
Aethel hatte sich ihre Kopfhörer ins Ohr gesteckt und versuchte, die
Bewegungen neben sich zu ignorieren.
Sie hatte bisher nur die späteren Tagebücher ihres GroÃvaters
gelesen, die offen und für jedermann zugänglich in dem verglasten Bücherschrank
gestanden hatten.
Dieses hier hatte sie durch Zufall entdeckt, weil sie ein Buch in
der obersten Reihe der Bibliothek bemerkt hatte, das ihr durch seine
Abgegriffenheit interessant erschien. Nur deshalb hatte sie die schwere
Mahagonileiter dorthingezogen und war hinaufgeklettert. Das eine Buch war ein
französisches mit dem Titel Description de lâÃgypte , eine
Originalausgabe von 1809, und direkt dahinter hatte das in Leder
gebundene erste Tagebuch ihres GroÃvaters gelegen.
Als würde sie Schmetterlingsflügel anfassen, so behutsam blätterte
sie die vergilbten Seiten auf. Sie las den ersten Eintrag in
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