Totenpech
Michaela Kriech verschwunden war, und der einem Mord zum Opfer gefallen
war. Inwiefern die beiden Fälle zusammenhingen, war schwer zu sagen. Auf den
ersten Blick schien der Mord an Senner eher ein Raubmord zu sein und hatte
nichts mit den spurlos verschwundenen Personen der letzten Jahre zu tun. Genaueres
würde sich erst im Laufe der weiteren Ermittlungen herausstellen. Sam hatte
während seiner Dienstjahre gelernt, keine voreiligen Schlüsse zu ziehen, auch
wenn das Offensichtliche noch so offensichtlich war. Bitter war nur, wie er es
auch drehte und wendete, er würde wohl oder übel auf die eine oder andere Weise
wieder mit Alfred zusammenarbeiten müssen.
Er saà im Büro hinter dem groÃen Schreibtisch von Lothar Senner und
drehte sich in dessen Lederstuhl hin und her. Dabei strich er sich
gedankenverloren über die pflaumengroÃe Beule am Hinterkopf und betrachtete den
kleinen Gegenstand in seiner Hand. Es war nicht derselbe, den er kurz vor dem
Schlag auf seinen Kopf auf der Jacht gefunden hatte, dafür aber einer von
vielen anderen, die Michaela Kriech in ihrer Kulturtasche gehabt hatte â eine
braune Plastikhaarspange. Luisa und Sascha hatten bestätigt, dass Michaela
immer zehn Stück der gleichen Sorte auf einmal kaufte, weil die Dinger, wie sie
sagte, auf unerklärliche Weise verschwanden und nicht mehr auftauchten. Die
Ironie des Schicksals wollte es, dass nun genau das mit ihr geschehen war, aber die Spange aufgetaucht war. Sam vermutete, dass Michaela
sie mit Absicht zwischen den Kissen versteckt hatte, als sie ahnte, was mit ihr
geschehen würde. Was auch immer. Die Frage war, was hatte Senner mit seinen
Opfern gemacht? Hatte er sie zu Fischfutter verarbeitet und über Bord geworfen,
nachdem er sie ⦠ja, nachdem er was? Sie sexuell missbraucht hatte? Männer,
Frauen und Kinder? Sam schüttelte den Kopf. Senner war pervers gewesen und
homosexuell. Aber war er auch ein Serienmörder, der die Küsten rauf- und
runterfuhr, Menschen entführte und tötete? Dann hätte er es geschickt
angestellt, dass er seit drei Jahren nicht ins Visier geraten war. Es waren
jedes Mal andere Boote gewesen, die kurz darauf verkauft worden waren.
Sam hatte das Büro von Lothar Senner auf den Kopf gestellt in der
Hoffnung, irgendeinen Hinweis zu finden, was mit den Entführten geschehen war.
Senner war nicht nur Jachtmakler, Konstrukteur und Designer, sondern auch der
Eigentümer der Firma Jasper Yates in Miami gewesen. Sein auÃergewöhnlicher
Erfolg hatte darin bestanden, Luxusjachten auf die Bedürfnisse seiner Kunden
zuzuschneiden. Das alles hatte Sam durch das Internet erfahren.
Das Büro selbst hatte jedoch nichts hergegeben, auÃer ein paar Arzt-
und Stromabrechnungen der Villa, die zeigten, dass er sich tatsächlich nur ab
und zu in München aufgehalten hatte und den Rest des Jahres um die Welt gereist
war. Sam nahm noch einmal die Hotelabrechnungen in die Hand, alle stammten aus
den letzten drei Wochen, ausgestellt an der Côte dâAzur. Darunter eine aus
Marseille, die mit dem Entführungsdatum eines gewissen Jean-Luc Fleury
übereinstimmte. In einer Ablage lagen ein paar American- Express-Kartenbelege.
Der letzte in arabischer Schrift. Er war aus Dubai. Sam rieb sich die Augen.
Das Datum war nur schwach erkennbar, aber es war unverkennbar das gleiche wie
das, an dem Michaela Kriech verschwunden war. Sam verglich die Unterschriften
auf den anderen Belegen. Es war die von Senner. Senner konnte Michaela Kriech
nicht entführt haben. Er war in Dubai am Flughafen gewesen. Wer war es dann
gewesen? Ein Komplize von Senner? Oder benutzte jemand heimlich die im Hafen
liegenden Jachten? Immer die desselben Eigentümers oder Herstellers? Sehr
unwahrscheinlich, fand Sam. Er klemmte sich den mit einem Passwort gesicherten
Laptop von Lothar Senner unter den Arm und verlieà die Villa.
Als Sam den kleinen Raum betrat und sich leise ans Fenster
stellte, war gerade eine weitere Vernehmung von Alessio Leoni im Gange. Von dem
Sturz, den Alfred verursacht hatte, war immer noch eine ziemlich dicke Schwellung
am Hinterkopf zu sehen. Fast wie seine, dachte Sam und hatte wieder die
italienischen Männerschuhe vor Augen. Er war nun weià Gott kein Kenner von
Modemarken, aber das kleine rote Label der Firma Prada war nur allzu bekannt
und deutlich erkennbar gewesen. Sein Blick wanderte unter den Tisch, an dem der
Befragte saÃ. Er hatte
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