Totenpech
von dir.«
Lina war es fast unangenehm, ihre langweilige Lebensgeschichte zu
erzählen. Sie hatte kein Märchen zu bieten, lediglich ein arbeitsreiches, immer
um jede Mark, später dann Euro, kämpfendes Leben. Als sie anfing, von ihrer
abenteuerlichen Reise nach Kolumbien, das Heimatland ihres Vaters, zu erzählen
und berichtete, wie sie aus der Narkose in einem Krankenhaus aufwachte, das auf
Organtransplantationen spezialisiert war, hielt Daniel den Wagen an und starrte
sie fassungslos an.
»Kannst du dir vorstellen, wie ich mich gefühlt habe, als ich
erfuhr, dass mein eigener Vater mir sein Herz gespendet hatte? Mir, seiner
einzigen und alles geliebten Tochter? Am liebsten wäre ich auf der Stelle tot
umgefallen. Ein Leben ohne meinen Vater schien mir damals unmöglich. Ich mache
mir heute noch Vorwürfe, dass ich nicht geahnt habe, was meine Eltern
vorhatten.«
»Ja, aber ⦠warum um alles in der Welt â¦Â«
»In seinem Brief stand, dass er seine Zeit gehabt hatte. Und es
würde nichts Schöneres geben, als einem geliebten Menschen ein zweites Leben zu
schenken.«
»Ja, aber geht das denn so einfach, dass man einem gesunden Menschen
das Herz herausnimmt und einem anderen einsetzt?«
Lina lachte. Es war kein fröhliches Lachen. »In manchen Ländern ist
mit Geld alles möglich, Daniel. Besonders in armen, meinst du nicht?«
Daniel nickte und sah nach drauÃen, ohne wirklich etwas zu sehen.
»Das ist ein sehr trauriges Märchen, Lina.« Der Wagen setzte sich wieder in
Bewegung, um keine zwei StraÃen weiter wieder anzuhalten.
»Leider sind wir schon da. Ich hätte gerne noch mehr aus deinem
Leben gehört. Sehen wir uns wieder?«
»Vielleicht.«
Lina stieg aus und schenkte Daniel ein Lächeln, während sie die Tür
zuschlug. Sie drehte sich nicht mehr um, obwohl sie es gern getan hätte. Dann
war sie im Hauseingang verschwunden und hörte nur, wie der Wagen davonfuhr.
Sie musste zugeben, Daniel gefiel ihr. Aber konnte ein Mann
tatsächlich so offen, feinfühlig und sensibel sein? Es war dieser innere
Zweifel, dass es keine Perfektion gibt. Und dieser Mann mit seinem beinahe
makellosen Leben, seiner verlorenen, vollkommenen Liebe war geradezu zu einem
perfekten Zeitpunkt in ihr Leben getreten. Kein Zusammentreffen von Menschen im
Leben war zufällig. Alles hatte einen Sinn, unterstand gewissen Regeln. War das
ein Zeichen, dass Sam vielleicht nicht der Richtige war?
47. KAPITEL
Chester   Am Abend
saà Aethel in einem kleinen Restaurant in einem der Fachwerkhäuser, für die
Chester bekannt ist; es war berühmt für seine exzellente mediterrane Küche. Sie
wartete auf Lord Richmond.
Die Uhr zeigte auf viertel nach acht. Der Lord war bereits fünfzehn
Minuten zu spät. Normalerweise ein Grund zu gehen, aber leider saà sie nicht am
längeren Hebel. Sie musste sich die Frechheit gefallen lassen.
Sie wollte gerade einen Wein bestellen, als sie die unverkennbare
Stimme von Lord Richmond hinter sich hörte.
»Aethel, was für eine Freude, dich zu sehen.«
»Ganz meinerseits«, sagte Aethel und verzog das Gesicht zu einem
gekünstelten Lächeln.
»Hast du schon bestellt?«
»Ich möchte nichts essen, vielen Dank. Mir ist der Appetit
vergangen«, antwortete sie bissig und betrachtete Lord Richmond, der gelassen
in die Speisekarte sah, etwas genauer.
Er hatte kurze rote Haare, die weiÃ-rötliche Haut war übersät mit
braunen Sommersprossen, die Wimpern fast weià und die Augen steingrau. Es
schüttelte sie innerlich bei der Vorstellung, diesen Mann küssen zu müssen.
Deshalb musste sie sich schnell etwas einfallen lassen.
Der Kellner trat an den Tisch, und der Lord bestellte sich als
Vorspeise die Tagessuppe mit Knoblauchbrot, als Hauptgericht Lachsfilet und
dazu einen bioorganischen Chardonnay.
Er nickte dem Kellner dankend zu und gab ihm die Karte zurück. Dann
sah er Aethel an, die sich im Stillen mehrere Möglichkeiten zurechtgelegt
hatte, wie sie sich am besten aus der Affäre ziehen konnte.
»Aethel«, begann Lord Richmond und kniff den Mund als Zeichen des
Bedauerns zusammen. Seine rechte Hand rutschte langsam über den Tisch. Sie
schloss sich um ihre wie eine fleischfressende Pflanze. Der Druck seiner mit Sommersprossen
gesprenkelten Hand zwang Aethel dazu, ihre Hand auf dem Tisch zu lassen und
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