Totenpech
aufbringen konnte. Was waren das für Menschen, die sich
einen mumifizierten Körper ins Haus legten? Was war der Kick dabei? Oder ging
es nur um die Antiquität an sich. Reichte da nicht eine Statue aus Marmor oder
Gips, die dreitausend Jahre alt war?
Lothar Senner war fanatisch gewesen, was das alte Ãgypten anging.
Seine Nachbarin, die die ausgestopften Katzen füttern sollte, hatte das
bestätigt. Nun galt es, weitere von diesen Fanatikern ausfindig zu machen.
Einen lebenden am besten. Oder aber man schlüpfte selbst in diese Rolle.
49. KAPITEL
Hamburg â Eine
Stunde noch, dann würde sie endlich die Praxis abschlieÃen und Daniel
wiedersehen.
Sam hatte am Nachmittag angerufen. Es war kein emotionales Gespräch
gewesen. Beide hatten es vermieden, über den aktuellen Stand ihrer Beziehung zu
sprechen, und nur über belanglose Dinge geredet. Das Wetter, das Restaurant,
die Stimmung auf der Arbeit, ihr Chef und die Patienten. Dann war das Gespräch
holprig geworden. Immer wieder entstanden Pausen am Telefon, und schlieÃlich
hatte sie gesagt, dass sie weiterarbeiten müsse. Die Erleichterung, die Sam
darüber empfand, aus dem Gespräch erlöst zu sein, hatte sie sogar über die
Entfernung spüren können. Aber vielleicht tat sie ihm auch nur unrecht. Sie
dachte an Daniel. Er gefiel ihr zwar nicht hundertprozentig, aber er hatte
etwas Interessantes an sich, etwas, das sie anzog. Seine Augen mit diesem
eigenartigen grünlichen Schimmer und den dunklen Punkten in der Iris, fast
reptilienartig. Wenn er redete, fühlte sie sich, als würde sie in einen Kokon
eingesponnen werden.
Der letzte Patient nahm endlich seine Jacke vom Haken und
verabschiedete sich. Wieder sah Lina auf die Uhr. Eine halbe Stunde noch. Sie
zog den schwarzen Lidstrich über ihren mandelförmigen Augen nach, legte ein
bisschen durchsichtiges Gloss auf ihre vollen Lippen und strich sich den roten
Pullover über der schmalen Taille glatt. Den Pullover, den Sam so sehr an ihr
geliebt hatte, weil er ihren olivefarbenen Teint hervorhob. Jetzt trug sie ihn
für einen anderen Mann. Fast schämte sie sich dafür, trotzdem fühlte sie dieses
nervöse, aber angenehme Bauchkribbeln, wenn sie an Daniel dachte. Sie zog sich
den Mantel über, schloss die Praxis ab und nahm nicht den Fahrstuhl, sondern
ging langsam Stufe für Stufe die drei Stockwerke nach unten, damit wieder ein
paar Minuten mehr verstrichen. Zehn Minuten noch, dann sah sie Daniel wieder.
Er hatte gesagt, dass er sie vor der Praxis abholen würde und eine Ãberraschung
für sie hätte.
Lina stand auf dem Bürgersteig und beobachtete einen Wagen nach dem
anderen, der die kleine StraÃe entlangfuhr. Immer wenn sie die schwarze
Kühlerhaube einer Limousine, egal welchen Modells, um die Ecke biegen sah,
hielt sie den Atem an. Die Zeit verging, von Daniels Wagen war nichts zu sehen.
Sollte sie ihn anrufen? Vielleicht hatte er die Verabredung mit ihr
vergessen, vielleicht war er aber auch noch bei einem Kunden und nicht
rechtzeitig weggekommen. SchlieÃlich nahm sie ihr Handy, suchte Daniels Nummer
und tippte sie ein.
Schon beim zweiten Klingeln hörte sie seine angenehme Stimme an
ihrem Ohr. »Hey, Schönheit, tut mir leid, dass ich mich verspäte. Bin gleich
da.«
»Okay. Dann bis gleich.«
Lina war wieder im siebten Himmel. Deshalb traf es sie umso härter,
als sie durch die sieben Wolken fiel und unsanft auf dem Boden aufschlug. Von
Daniel war auch nach einer weiteren Stunde qualvollen Wartens nichts zu sehen.
Die Autos wurden immer weniger, die Lichter in den Geschäften gingen aus, und
nur gelegentlich hörte sie noch die Schritte eines Passanten, der seinen Wagen
aus dem gegenüberliegenden Parkhaus holte.
Lina hatte noch ein paarmal auf Daniels Nummer gedrückt, doch jedes
Mal war die Mailbox angesprungen. SchlieÃlich fuhr sie enttäuscht nach Hause
und fragte sich, ob es vielleicht besser gewesen wäre, wenn sie ihn von Anfang
an abgewiesen hätte.
War sie nicht mehr interessant genug, weil Daniel gemerkt hatte,
dass er sie haben konnte? Lina wusste nicht mehr, ob sie traurig, enttäuscht,
besorgt oder wütend sein sollte. Wütend über die Respektlosigkeit, sie einfach
über eine Stunde warten zu lassen, oder besorgt, dass Daniel vielleicht etwas
passiert war, er schwer verletzt in einem Krankenhaus lag und das der wahre
Grund für sein
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