Totenpech
Auffahrt
zum Schloss hochfuhr, brannte immer noch Licht im Wohnbereich. Sie blieb eine
Weile in ihrem weinroten alten Drophead-Coupé der Marke Bentley sitzen, bis die
Scheiben vollkommen von ihrem Atem beschlagen waren. SchlieÃlich stieg sie aus,
streckte ihr Gesicht dem Regen entgegen, als könnte er die letzten Stunden der
Demütigung wegwaschen, die sie ertragen musste. Völlig durchnässt betrat sie
die Eingangshalle.
Ihre Mutter stand erwartungsvoll in der groÃen Flügeltür, die zum
Wohnzimmer führte, die Hände vor der Brust gefaltet. Sie lächelte, während ihr
Vater, der schräg hinter ihr stand, keine Miene verzog.
»Du kannst die Hochzeit vorbereiten«, sagte Aethel kühl und betrat
mit gesenktem Kopf und geballten Fäusten die Treppe, die zu ihrem Turmzimmer
führte. Sie blieb einen Augenblick hinter der ersten Windung stehen und hörte,
wie ihre Mutter unten freudig gluckste, ihr Vater jedoch kein Wort über die
vermeintlich gute Nachricht verlor.
48. KAPITEL
Zwei Tage später ging am Morgen ein Anruf von einem
englischen Zollbeamten ein, der die Meldung der deutschen Polizei an alle
Zollstationen gesehen hatte und der sich an eine junge Engländerin erinnerte,
die eine Büste ähnlicher Art in einem Rucksack getragen hatte. Natürlich konnte
er keinen Namen nennen, aber er gab eine kurze Beschreibung ab. Dunkle,
mittellange Haare, ungefähr eins fünfundsechzig groÃ, schlank, normal
gekleidet, was ungefähr auf ein Viertel aller Frauen zutraf. Alfred unterhielt
sich darüber mit einem Kollegen, gerade als Sam am Kaffeeautomaten stand und
eine Münze einwarf. Sam hörte noch, wie Alfred einen Siegelring mit einem
blau-goldenen Wappen erwähnte. England? Stammte die Büste nicht ursprünglich
aus England? Ein Wappen wurde immer mit Tradition und Geschichte verbunden.
Eine Diebin, die sich in adeligen Kreisen bewegte? Oder war der Ring ebenfalls
Diebesgut und wurde lediglich als Schmuckstück getragen? Doch daran wollte Sam
nicht so recht glauben.
Er rief bei einem Wappenmeister in England an, der ihm einen Vortrag
über den Erwerb von Wappen hielt. Hochschulabschluss sei Pflicht, anschlieÃend
würde bei der Wappenzentrale geprüft, ob der zukünftige Träger sich in der
Gesellschaft verdient gemacht hatte. Wappen könnten aber auch vererbt werden.
Als er erwähnte, dass er allein etwa zweihundert Wappen jährlich entwarf und er
einer von fünf Wappenmeistern war, bedankte sich Sam und legte auf.
Vielleicht würde er auf der Charity-Veranstaltung von Frau Serani,
die ihm gestern noch per E-Mail die Einladung bestätigt hatte, etwas mehr
erfahren können.
Als Nächstes stand ein Telefonat mit der Interpol-Zentrale in
Marseille auf der Liste, die seit Jahren mit Kulturorganisationen und
Archäologen nach gestohlenen Kunstschätzen suchte. Nach mehrmaligem Verbinden
hatte Sam schlieÃlich den zuständigen Beamten am Apparat. Ihm wurde ziemlich
schnell klargemacht, dass er die Nadel in allen Heuhaufen
der Welt suchte.
»Sie können sich gar nicht vorstellen, wo diese Sachen überall
auftauchen. Libyen, USA ,
Europa, Japan, um nur ein paar Länder zu nennen. Wir suchen erst seit 2003
Kunstschätze, die aus dem Nationalmuseum in Bagdad gestohlen worden sind. Sie
suchen nach Mumien, die seit zweihundert Jahren durch die Weltgeschichte
geistern und irgendwann in Kellern von normalen Wohnhäusern gefunden werden.
Wenn sie nicht kleingemörsert wurden.«
»Ich suche nicht nach echten Mumien, sondern nach gefälschten,
Monsieur Roche.«
»Kennen Sie die Geschichte vom persischen Kamelzüchter Hadji Ali
Aqbar?«
»Nein.«
»Man fand bei ihm eine zweitausendsechshundert Jahre alte Mumie mit
einer goldenen Gesichtsmaske und Brustplatte in einem Holzschrein. Laut der
Keilschrift sollte es sich um die Tochter des persischen Königs Xerxes I . handeln. Ein
sensationeller Fund für die Fachwelt. Eine persische Mumie, aber nach
ägyptischen Vorbildern mumifiziert. Im Endeffekt stellte sich heraus, dass die
Frau 1996
an einem Genickbruch gestorben war oder getötet wurde. Aber solange eine
Nachfrage besteht, werden kriminelle Seelen immer wieder Mittel und Wege
finden, zu plündern oder zu fälschen. Immerhin bringt so eine Mumie auf dem
Schwarzmarkt zwanzig Millionen Dollar.«
Zwanzig Millionen Dollar! Ein Sümmchen, das nicht
jedermann mal eben
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