Totenpech
Jahre alt sein soll. Das geschätzte Alter des Skeletts würde auch auf das
Alter Ihrer Schwester passen. Das ist eigentlich alles. Es ist wahrscheinlich
der Anfang einer langen Untersuchung, aber mit einem DNA -Test kann man Ihre Schwester schon
mal ausschlieÃen. Sagen Sie, wie groà war Ihre Schwester ungefähr?«
»Etwa so groà wie ich. Eins siebzig.«
Sam notierte sich die Zahl in seinem Notizbuch, nahm dann die Haar-
und Blutprobe vom Tisch und hielt Frau Winterfeld die Tür auf.
»Hatte sie besondere Kennzeichen?«
»Wie meinen Sie das?«
»Eine Tätowierung ⦠oder vielleicht eine Operation?«
»Jetzt, da Sie es sagen ⦠Sie hatte einen Motorradunfall gehabt, bei
dem ihr beinahe der rechte groÃe Zeh abgerissen wurde. Man hat ihn mit einem
Nagel wieder hinbekommen. Allerdings war er danach steif. Warum?«
Sam hörte sich sagen: »Jedes Detail kann bei der Identifizierung
hilfreich sein.« Er wusste nicht, warum er ihr nicht sagte, dass die Mumie
einen Nagel im groÃen Zeh hatte. Er konnte es in diesem Moment einfach nicht.
Es gab noch eine Kleinigkeit, die Sam störte. Die Mumie hatte rote Haare.
Christine Winterfeld war brünett gewesen. Erst die restlichen
Laboruntersuchungen würden also ein hundertprozentiges Ergebnis erbringen. Auf
dem Weg nach drauÃen überlegte Sam, was wohl mit dem Freund von Christine
Winterfeld geschehen war. Lag er auch in einem alten Sarkophag als Mumie bei
irgendeinem Liebhaber für altägyptische Kunst, der nichts von dem
betrügerischen Inhalt ahnte? Es war fast anzunehmen.
Christine und ihr Freund verschwanden spurlos vor elf Jahren. Auch
die Familie war auf dem afrikanischen Kontinent verschwunden. Bestand
tatsächlich ein Zusammenhang zwischen diesen Fällen und den zwanzig Vermissten,
die in den letzten drei Jahren im europäischen Raum verschwunden waren? Lothar
Senner mit seinen Jachten wäre der perfekte Transporteur von menschlicher Ware
von A nach B sowie von
Sarkophagen und Mumien von B nach C gewesen,
und das weltweit. Für jede Fahrt hatte er sich ein paar neue Artefakte in seine
Kammer gestellt. Die Frage war, woher kamen die Stücke? Und an was war der
letzte Deal gescheitert? War die Quelle versiegt, oder hatte er etwas anderes
gewollt?
45. KAPITEL
Das kleine Mädchen saà auf dem groÃen grauen Steintisch
und nahm den frischen Geruch in sich auf, der von ihrer Mutter ausging. Sie
genoss den Augenblick, wenn sie die ganze Aufmerksamkeit ihrer Mutter hatte,
die gerade summend die Leinentücher abwickelte, die sie fest um den Kopf trug
und die ihr unsagbare Schmerzen bereiteten. Mit jeder abgelösten Schicht lieÃ
der Druck auf den Kopf nach. Aber sie wusste auch, dass dieses angenehme Gefühl
nicht von Dauer sein würde. Wie oft hatte sie geweint und sie gebeten, damit
aufzuhören, aber ihre Mutter hatte unerbittlich weitergemacht und jedes Mal die
Bandagen fester um den Kopf gezogen. Sie wollte sie nicht verärgern, denn ihre
Mutter konnte sehr böse werden. Das hatte sie mit eigenen Augen gesehen. Als
nämlich eines ihrer neuen Geschwister nicht aufgehört hatte zu weinen, hatte
sie es grob aus dem Zimmer gezogen. Eine Weile hatte sie das Weinen noch
gehört, dann war es verstummt, und ihr neuer Bruder war nie wieder
zurückgekommen. Ihre Mutter hatte ihr später erklärt, dass er jetzt mit den
Göttern spielt und neue Geschwister hat. Sie wusste zwar nicht, was Götter
sind, aber sie waren bestimmt nett zu ihm.
»Nun, dann wollen wir mal sehen, wie sich meine kleine Prinzessin
hier macht.« Ein Lächeln huschte über das sonst so ernste Gesicht ihrer Mutter,
als sie den kleinen Kopf von allen Seiten betrachtete. »Du wirst ein richtiges
Prachtstück werden. Nein, du bist es schon. Und zur Belohnung gibt es das
hier.«
Sie holte aus der Tasche ihres weiÃen Kittels einen ganzen
Schokoladenriegel und gab ihn ihr. Das kleine Mädchen riss hastig das Papier ab
und stopfte sich gierig die Schokolade in den Mund. Wie schön es doch war, wenn
ihre Mutter glücklich war, was nur allzu selten vorkam. Denn dann würde sie
vielleicht öfter etwas von diesen Leckereien bekommen. Ihre Mutter lächelte sie
an und gab ihr ein Zeichen, sich hinzulegen. Die Steinplatte war kalt, und das
grelle Licht über ihr blendete sie, sodass sie die Augen schloss. Sie wollte
sich nicht beklagen, wollte das Glück nicht
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