Totenpech
einen lauten Schniefer, dann eine
weibliche Stimme, die sich stark erkältet anhörte.
»Herr O âConnor?«
»Ja.«
»Ich weià nicht, ob Sie sich noch an mich erinnern ⦠Sie waren vor
einiger Zeit bei mir vor der Tür und hatten nach meinem Sohn gefragt.«
Sam musste schmunzeln. Natürlich erinnerte er sich noch sehr genau
an die Mutter von Ronald Walter, die ihm die Tür vor der Nase zugemacht hatte.
»Wie kann ich Ihnen helfen, Frau Walter?«
»Mein Ronald hat sich seit dem Morgen, als ich ihn das letzte Mal
gesehen habe, nicht mehr gemeldet. Ich habe Ihnen nicht erzählt, dass an dem
Morgen danach ein weiÃer Umschlag im Briefkasten lag. Darin war ein Zettel, auf
dem stand: Liebe Mutter, ich folge der Liebe meines Lebens. Sei
mir nicht böse. Ich melde mich, sobald ich kann. «
Hatte Sam doch richtig vermutet. Ronald Walter hatte eine Freundin und
war mit ihr durchgebrannt. Nur merkwürdig war, dass er sich bei niemandem verabschiedet
hatte. Sozusagen einfach von der Bildfläche verschwunden war.
»Hat er sich bis jetzt nicht bei Ihnen gemeldet?«
»Nein, und der Zettel ist auch nicht handgeschrieben. Das würde mein
Ronald nie tun.« Frau Walter putzte sich geräuschvoll die Nase. Sam hielt den
Hörer auf Abstand, bis sie fertig war.
»Er hatte keine Geliebte, das weià ich hundertprozentig. Für so was
hat mein Ronaldchen überhaupt keinen Sinn. Er ging morgens aus dem Haus ins
Museum und kam pünktlich um sechs Uhr abends zum Abendbrot nach Hause. Danach
ging er nicht mehr aus. Hat mit mir die Tagesschau gesehen und ist dann ins
Bett. Er ist so ein guter Junge â¦Â«
»Das glaube ich Ihnen ja, Frau Walter, aber Sie müssen eine
Vermisstenanzeige aufgeben. Erst dann können wir aktiv werden.«
Grinsend beendete Sam das Gespräch und wählte noch einmal die Nummer
in England. Er wurde zweimal durchgestellt, dann hatte er den Mann am Telefon,
von dem er hoffte, noch mehr zu erfahren.
Mr. Pilzecker, von der Privatdetektei Lock & Son in London,
sprach sehr nasal. Sam stellte sich einen korpulenten grauhaarigen Mann vor,
mit einer Brille auf der Nase, die ihm die Nasenflügel leicht zusammendrückte,
der hinter einem groÃen, mit Papieren überfüllten Schreibtisch saà und die
gewünschte Information in einem Wust von Akten suchte. Es raschelte, und Sam
malte gelangweilt Kreise auf seinen Notizblock. »Ah, hier ist sie ja.« Wieder
raschelte es, dann endlich hörte er Pilzecker sagen: »Frau Serani, geboren in
Kairo 1940.
Sie lebte mit ihren Eltern die ersten Lebensjahre dort in einer
herrschaftlichen Villa. Was der Vater genau machte, konnte ich bisher nicht in
Erfahrung bringen.«
»Ist nicht wichtig, lesen Sie weiter.«
»Beide Elternteile plus der Angestellten kamen bei einem
Raubüberfall in der Villa in Kairo damals ums Leben. Man hatte alle grauenvoll
zugerichtet. Ein Schlachtfeld hinterlassen. Die Täter wurden nie gefasst, man
vermutet, dass es Einheimische waren, die einen Hass gegen die Ausländer
hegten, die dort in Saus und Braus lebten. Einzige Ãberlebende: die Tochter.
Sie kam zu den GroÃeltern väterlicherseits nach London und lebte zeitweise in
Mayfair, später kam sie auf das King Williamâs College. Die Nachbarschaft in
Mayfair bestand nur aus dem gehobenen, traditionsbewussten Adel. Bis auf einen.
Ein Kunsthändler, Meyer hieà er, der aber erst später erfolgreich wurde.
Nachdem seine Tochter in eine der reichsten Familien eingeheiratet hatte. Was
ein Skandal war.
»Mit was für Kunst hat er denn gehandelt?«
»Bilder, Gemälde. Alte Gemälde.«
Das war nicht das, was Sam hören wollte. »Und wie hieà die Familie,
in die sie eingeheiratet hat? Die Tochter, meine ich?«
»Grosvenor.«
Der Name sagte Sam nichts, deshalb stellte er die nächste Frage, die
ihm auf der Zunge brannte.
»Was ist mit diesem Siegelring? Haben Sie herausbekommen, zu welcher
Familie er gehören könnte?«
»Nein, noch nicht ganz, aber ich denke, spätestens morgen werde ich
mehr wissen. Ach, und Herr O âConnor
�«
»Ja?«
»Na ja ⦠ich schicke Ihnen die Informationen per E -Mail noch einmal
zu. Wir hören uns dann morgen.«
Das Gespräch war beendet. Sam hatte das Gefühl, dass der Detektiv
ihm noch irgendetwas hatte sagen wollen. Er würde es sicher morgen erfahren.
In
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