Totenpfad
Schriftband und eine Art Wappen.
«Was steht denn da?», fragt sie.
«Seasiders. Das ist der Spitzname meiner Mannschaft in Blackpool. Hab ich mit sechzehn machen lassen. Michelle kann es nicht ausstehen.»
Nun hat er also ihren Namen gesagt, und plötzlich ist es, als wäre Michelle, die perfekte Ehefrau, die die ganze Nacht über zwischen ihnen stand, mit im Zimmer. Nelson ist damit beschäftigt, seine Hose anzuziehen, und scheint gar nicht zu merken, was er gesagt hat. Vielleicht macht er so etwas ja häufiger, überlegt Ruth.
Angezogen ist er wieder ganz Polizist, ein Fremder. Er kommt zu ihr herüber, setzt sich auf den Bettrand und nimmt ihre Hand.
«Danke», sagt er.
«Wofür denn?»
«Dass du da warst.»
«Ich tue nur meine Bürgerpflicht.»
Nelson grinst. «Dafür hättest du einen Orden verdient.»
Ruth sieht ihm dabei zu, wie er sein Handy unter dem Bett herausfischt. Sie fühlt sich seltsam unbeteiligt, als würde sie das alles im Fernsehen anschauen. Dabei sieht sie solche Sendungen sonst gar nicht – sie interessiert sich mehr für Dokumentarfilme.
«Wirst du zu deiner Freundin gehen?», fragt Nelson, während er die Jacke überstreift.
«Ja. Ich denke schon.»
«Dann meld dich, ja? Und sag mir sofort Bescheid, falls dir die Pressefritzen nochmal Ärger machen.»
«Mach ich.»
An der Tür dreht er sich noch einmal um und lächelt sie an. «Wiedersehen, Doktor Galloway», sagt er.
Dann ist er fort.
17
Weil sie ohnehin nicht wieder einschlafen kann, steht Ruth auf und geht unter die Dusche. Während sie zusieht, wie das Wasser über ihren Körper rinnt, denkt sie an Nelson und fragt sich, ob sie sich gerade symbolisch reinigt und jeden Makel abwäscht, den seine Berührungen, sein Geruch, seine ganze Gegenwart hinterlassen haben könnten. Das würden zumindest ihre Eltern jetzt von ihr erwarten. Taufe ist Wiedergeburt. Ein Satz aus der Zeit, als sie noch in die Kirche ging, kommt ihr in den Sinn: Getauft mit dem Blut Jesu. Ruth schüttelt sich. Das klingt nach einer Formulierung des Briefschreibers. Sie denkt an den letzten Brief, in dem von Fleisch und Knochen die Rede war. Ob diese Anspielungen wirklich für sie bestimmt sind?
Rasch trocknet sie sich ab und geht ins Schlafzimmer. Sie zieht das Bett ab (noch eine symbolische Reinigung?) und streift eine Hose und einen Fleecepulli über. Dann holt sie eine Reisetasche und packt ein paar Kleider zusammen. Sie wird Nelsons Rat folgen und ein paar Tage zu Shona ziehen. Sobald sie im Büro ist, wird sie sie anrufen.
Als sie ihren peinlichen grauen Schlafanzug einpackt, sind ihre Gedanken wieder bei Nelson. Ob er mit ihr geschlafen hat, um das Entsetzen über Scarlets Tod zu verdrängen? Er kann sie doch unmöglich attraktiv finden, wo er die amtierende Miss «Blondes Bunny» daheimhat. Und sie? Findet sie ihn attraktiv? Wenn sie ehrlich ist, schon. Sie fühlt sich zu ihm hingezogen, seit sie ihn das erste Mal auf dem Gang der Universität gesehen hat, wo er viel zu groß und viel zu männlich für die Umgebung wirkte. Er ist das absolute Gegenteil der schlaksigen Akademiker, mit denen sie sonst zu tun hat – Männer wie Phil und Peter und sogar Erik. Nelson würde niemals stundenlang über verstaubten Nachschlagewerken brüten; er zieht es vor, aktiv zu sein, über das Moor zu wandern, Verdächtige zu verhören, zu schnell zu fahren. Und mit fremden Frauen zu schlafen? Womöglich auch das. Ruth glaubt zu spüren, dass er der heiligen Michelle sicher nicht zum ersten Mal untreu gewesen ist. Sein Verhalten vorhin, als er seine Kleider eingesammelt hat und ganz ausdrücklich nicht darauf zu sprechen gekommen ist, wann sie sich wiedersehen – das hatte schon etwas Geübtes an sich. Aber in der Nacht war er sehr gefühlvoll gewesen, schüchtern fast und überraschend zärtlich. Sie denkt wieder daran, wie er seufzte, als sie ihn küsste, wie er ihren Namen gemurmelt und ihren Kuss erwidert hat, erst sanft, dann immer gieriger, während er sich fast schon gewaltsam an sie presste.
Schluss jetzt, ermahnt sie sich und schultert ihre Tasche. Das war eine einmalige Sache. Es wird sich nicht wiederholen. Wie auch? Er ist schließlich verheiratet, und außerdem haben sie fast nichts gemeinsam. Der Zauber war nur den besonderen Umständen geschuldet. Von nun an werden sie wieder Polizist und Expertin sein, zwei Fachleute, die gemeinsam an einem Fall arbeiten.
Flint streicht ihr schnurrend um die Beine, und Ruth überlegt, was sie mit ihm machen
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