Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Totenpfad

Totenpfad

Titel: Totenpfad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elly Griffiths , Tanja Handels
Vom Netzwerk:
merkwürdigerweise auch gleich ein bisschen tapferer. Außerdem ist sie schön warm.
    Als sie in die New Road einbiegt, ist es bereits vier. Über dem Meer ballen sich unheilvolle graue Wolken zusammen. Ein Gewitter ist im Anmarsch. Der Wind hat sich unvermittelt gelegt, die Ruhe vor dem Sturm hängt schwer in der Luft. Am Horizont zeigt sich ein fahler, gelblicher Streifen, und selbst die Vögel schweigen.
    Als Ruth die Tür aufschließt, wird sie von einem halb hysterischen Flint empfangen. Ihn hat sie am Abend zuvor völlig vergessen. Er hat die Brekkiesschachtel in der Küche umgeworfen und ein Loch in den Pappkarton gerissen; nun schaut er mit waidwundem Blick zu, wie sie seinen Fressnapf füllt. Sie wird ihn wohl mit zu ihren Eltern nehmen müssen. David kann sie unmöglich noch einmal fragen, zumal sie nicht weiß, wie lange sie fort sein wird. Als sie auf den Speicher geht, um Flints Reisekorb zu holen, hört sie in der Ferne das erste Donnergrollen.
    Sie beeilt sich mit dem Packen, wirft Oberteile, Hosen und Pullover in den Koffer. Es ist ohnehin egal, was sie mitnimmt, ihre Mutter wird so oder so daran herummeckern. Nelsons Jacke behält sie an. Sie wird ihrer Mutter einfach sagen, dass dieser Polizei-Look in Norfolk gerade der letzte Schrei ist. Dann packt sie noch einen Krimi und ihren Laptop ein. Ein bisschen Arbeit kann sicher nicht schaden. Ruth schleppt den Koffer hinaus auf den Treppenabsatz und stößt dabei an ihr Plastikskelett. Sie wirft einen Blick auf die baumelnden Knochen und denkt: Du hast es gut. Dann eilt sie nach unten.
    Fünf Uhr. Mist, wenn sie so weitermacht, ist sie frühestens um Mitternacht in London. Der Verkehr wird vermutlich die Hölle sein. Sie wirft einen Blick aus dem Fenster.Draußen ist es stockfinster, und der Wind ist mit neuer Kraft zurückgekehrt. Das Gartentörchen schaukelt wild hin und her, als würde ein unsichtbares Kind darauf spielen. Hastig schnappt sich Ruth ihren Kater und verfrachtet ihn trotz heftigen Protests in den Katzenkorb. Sie muss sich jetzt wirklich sputen.
    Dennoch zieht es sie zum Schreibtisch, sie muss den Torques aus der Eisenzeit noch einmal betrachten. Damit hat die ganze Sache angefangen. Sie weiß selbst nicht, warum ihr das jetzt wichtig ist. Eigentlich hätte sie den Halsring auch längst Phil aushändigen müssen, damit er ihn zu den anderen Fundstücken nimmt, doch aus irgendeinem Grund kann sie sich nicht davon trennen.
    Jetzt schimmert er matt in ihrer Hand, und das verbogene Metall wirkt zugleich düster und wunderschön. Weshalb wurde er mit in die Grabstätte gelegt? Als Symbol des gesellschaftlichen Status des toten Mädchens oder als Gabe an die Götter der Unterwelt und der Übergänge, die über den Zugang zum Sumpfland wachen?
    Eine geschlagene Minute lang steht Ruth so da und wiegt den schweren, goldenen Gegenstand in der Hand.
    Da bemerkt eine Stimme hinter ihr angelegentlich: «Um siebzig vor Christus, würde ich sagen. Aus der Zeit der Icener.»
    Erik.

26
    Mit hämmerndem Herzen fährt Ruth herum, und im selben Moment erschüttert eine besonders starke Windböe das Haus. Das Gewitter ist da.
    «Was für ein scheußliches Wetter», sagt Erik im Plauderton. Er trägt einen schwarzen Regenmantel und hält einenvom heftigen Wind demolierten Schirm in der Hand. Jetzt wirft er ihn beiseite und kommt lächelnd auf sie zu.
    «Erik», sagt Ruth einfältig.
    «Hallo, Ruth», sagt Erik. «Hast du etwa geglaubt, ich gehe, ohne mich zu verabschieden?»
    Er kommt einen Schritt näher. Obwohl er immer noch lächelt, blicken seine blauen Augen kalt. So kalt wie die Nordsee.
    «Die Polizei sucht nach dir», sagt Ruth.
    «Ich weiß», erwidert er lächelnd. «Aber hier werden sie mich bestimmt nicht suchen.»
    Ruth fragt sich verzweifelt, warum Nelson nicht auch ihr Haus unter Polizeischutz gestellt hat. Aber er glaubt natürlich, dass sie längst wohlbehalten auf dem Weg zu ihren Eltern ist. Es ist kein Mensch da, der ihr helfen könnte. Sie weicht zurück in Richtung Tür.
    «Was ist denn los, Ruthie? Traust du mir etwa nicht?»
    «Nein.»
    «Weißt du, ich habe sie nicht umgebracht.» Er nimmt den Torques in die Hand und betrachtet ihn eingehend. «Ich habe die beiden kleinen Mädchen nicht getötet. Ich bin doch kein Nöck, kein böser Wassergeist. Ich bin einfach nur Erik.»
    Seine Stimme klingt genauso einnehmend wie immer, und Ruth schüttelt den Kopf. Sie darf sich nicht von ihm einwickeln lassen.
    «Du hast die Briefe geschrieben.

Weitere Kostenlose Bücher