Totenpfad
ihr die M6 vor Augen, die sich öde und grau vor ihr ausbreitet. Ihre Mutter wird mit Sicherheit als Erstes nach Peter fragen.
«Ach du liebes bisschen. Dann ist die Lage aber ganz schön ernst.»
Ruth lächelt, doch als sie wieder zu Peter hinschaut, hat seine Miene sich plötzlich verfinstert, und einen Moment lang sieht er aus wie ein Fremder.
«Denk dran, Ruth», sagt er. «Ich weiß, wo du bist.»
«Was ist hier eigentlich los, Ruth?» Phil schließt seine Bürotür wieder, nachdem Ruth eingetreten ist. «Steht Erik etwa ernsthaft unter Mordverdacht?»
«Ich weiß es auch nicht genau», schwindelt Ruth. «Soweit ich weiß, will die Polizei nur mit ihm reden.»
Auf der Fahrt zur Universität sind ihr Peters Worte nicht aus dem Kopf gegangen. ICH WEISS, WO DU BIST. Hat Peter ihr womöglich diese Nachrichten geschickt? Sie hat ihm nie ihre Handynummer gegeben, doch er kann sie natürlich ohne weiteres herausgefunden haben. Er hätte praktisch jeden danach fragen können, Erik, Shona, sogar Phil. Doch warum sollte Peter ihr auf diese Weise Angst machen wollen? Das ergibt absolut keinen Sinn. Nur eines ist klar: Sie kann niemandem mehr vertrauen.
«Was ist hier los?», fragt Phil noch einmal und gibt sichdabei redlich Mühe, nicht allzu aufgeregt zu klingen. «Die Polizei war hier und hat nach Erik gesucht. Und vorhin hat deine Freundin Shona aus dem Englischen Seminar vorbeigeschaut. Sie war ziemlich außer sich.»
Ruth sieht es genau vor sich, wie Shona malerisch an Phils Schulter geschluchzt hat. Vielleicht ist er ja doch der Nächste in der Reihe verheirateter Dozenten.
«Aber sie können ihn doch nicht ernsthaft …» Phil senkt die Stimme zu einem theatralischen Flüstern. «…
verdächtigen
?»
«Ich weiß es wirklich nicht», erwidert Ruth müde. «Hör mal, Phil, ich muss dich um einen Gefallen bitten. Die Polizei findet, dass ich eine Zeitlang von hier verschwinden sollte, und ich habe mir überlegt, zu meinen Eltern nach London zu fahren. Wäre es in Ordnung, wenn ich mir ein paar Tage freinehme? Ich habe diese Woche nur eine Vorlesung und ein Seminar.»
Phil starrt sie mit großen Augen an. «Glauben die etwa, du bist in Gefahr? Wegen Erik?»
«Es tut mir leid, Phil», sagt Ruth. «Mehr kann ich dazu nicht sagen. Bist du einverstanden, wenn ich mir die Woche freinehme?»
«Natürlich», sagt Phil. Dann setzt er hinzu: «Sag mal, Ruth, darf ich dich noch was fragen?»
«Ja?», fragt sie misstrauisch.
«Warum trägst du eine Polizeijacke?»
Eigentlich wollte sie früh loskommen, doch als sie endlich wieder am Salzmoor ist, wird es bereits dunkel. Plötzlich gab es furchtbar viel zu tun: Sie musste ihre Vorlesung absagen, Phil briefen, damit er die Seminarsitzung über Tierkadaver in der Feuchtbodenarchäologie übernehmen kann, ihre Eltern anrufen und ihnen sagen, dass sie kommen wird, und Shonas zunehmend verzweifelte Kontaktversucheabwehren. Und dann hat mittendrin noch Nelson angerufen.
«Hallo, Ruth. Alles in Ordnung?»
«Ja.»
«Judy sagt, sie hat dich gestern Abend bei einem Freund abgesetzt. Ich möchte nicht, dass das nochmal vorkommt. Ich will dich an einem sicheren Ort wissen.»
«Ich fahre nachher zu meinen Eltern. Nach London.»
Schweigen.
«Gut. Das ist gut.» Er klang unkonzentriert, und sie glaubte, im Hintergrund Papier rascheln zu hören.
«Habt ihr Erik schon gefunden?», wollte sie wissen.
«Nein. Er ist wie vom Erdboden verschluckt. Aber wir werden ihn schon noch finden. Wir haben Leute vor der Pension, vor dem Haus seiner Freundin und vor der Universität postiert. Und alle Flughäfen sind in Alarmbereitschaft.»
«Was ist mit Cathbads Wohnwagen?»
«Daran haben wir natürlich auch gedacht. Ich habe unserem Freund Malone heute Morgen schon einen Besuch abgestattet. Er behauptet, Anderssen seit Tagen nicht gesehen zu haben, aber wir behalten ihn natürlich auch im Auge.»
«So viele Überwachungsmaßnahmen … das ist sicher teuer.»
Nelson hat nur dumpf aufgelacht. «Wenn wir ihn schnappen, war es die Sache wert.»
Anschließend fuhr Ruth mit dem Taxi zum Polizeirevier, um ihren Wagen zu holen, traf Nelson dort aber nicht mehr an. Der diensthabende Beamte am Empfang erklärte, Nelson sei unterwegs, «um ein paar neueingegangene Hinweise zu überprüfen». Ruth fragt sich, ob das wohl bedeutet, dass sie Erik gefunden haben. Sie wollte Nelsons Jacke für ihn dalassen, behielt sie dann aber doch.Mit der Jacke fühlt sie sich Nelson nahe und
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