Totenplatz
normale Natur seinen Einzug gehalten hatte. Ich lächelte.
Eine Reaktion sah ich auf den Gesichtern nicht. Sie wirkten wie gepudert und schauten mich nur an. In den Augen lag ein unbestimmter Ausdruck, den ich nicht deuten konnte. War es Mißtrauen, war es Abwarten? Kam dort noch mehr zusammen?
Ich wußte es nicht, das Rätsel blieb, und ich ging einen weiteren Schritt nach vorn.
»Stop…«
Das war die Stimme. Das Flüstern, der durch ein geheimnisvolles Wispern ausgesprochene Befehl, und er schaffte es tatsächlich, mich zu stoppen. Sie hatten die Initiative übernommen. Sie wollten in diesem Fall etwas von mir, und ich wartete ab.
Wer sprach, fand ich nicht heraus. Jedenfalls überraschten mich die folgenden Worte. Ich hatte sogar den Eindruck, für einen Moment den Boden unter den Füßen zu verlieren.
»Du hast das Kreuz. Ich sehe, ich spüre es. Du hast das Kreuz des Hector de Valouis…«
***
Auch im Haus des Försters hielt sich jemand auf, der von der letzten Erklärung überrascht worden war. Helen McBain hatte den Namen des Mädchens verstanden, aber sie hatte auch die anschließende Erklärung nicht vergessen.
Ich bin tot!
Sie war also tot, und doch stand sie vor ihr. Das bedeutete für Helen, daß sie Besuch aus dem Totenreich bekommen hatte. Als sie dies überriß, da war ihr plötzlich klar, was sie hier erlebte, und das ging über ihr ›Fassungsvermögen‹. Sie schaffte es nicht mehr, normal stehen zu bleiben. Plötzlich schwankte sie, und das gesamte Zimmer kam ihr vor wie eine Schiffskabine auf hoher See, wobei der Kahn selbst in einen mittelprächtigen Sturm geraten war.
Helen streckte ihren rechten Arm aus, um sich irgendwo abzustützen, aber sie verfehlte die Wand, griff ins Leere, rutschte noch mit dem Handballen über das nicht tapezierte Mauerwerk hinweg und schaffte es kurz vor einem Fall, sich am Türpfosten abzustemmen.
Dort blieb sie stehen.
Sie atmete schwer. Der Schweiß lief über ihr Gesicht. Auf der Treppe stand noch immer das blonde Mädchen, dessen letzte Worte sich permanent in ihrem Kopf wiederholten.
Ich bin tot!
Helen McBain konnte es nicht fassen. So etwas war einfach zu viel für sie. Man hatte ihr keine Zeit gegeben, sich auf gewisse Dinge vorzubereiten, und das kleine Mädchen setzte auch zu keiner Erklärung mehr an. Es ging kurzerhand die Stufen hinab, ohne daß dabei ein Geräusch entstand. Es war für Helen nicht zu erkennen, ob sie die Stufen überhaupt berührte oder einfach nur darüber hinwegschwebte.
Ohne sich um die Frau zu kümmern, ließ sie die Treppe hinter sich. Vor der ersten Stufe blieb sie stehen. Sehr langsam bewegte sie den Kopf.
Zuerst schaute sie nach links, dann nach rechts. Dabei bewegte sich auch die Haut in ihrem Gesicht, und auf der Stirn erschien eine Falte, als wäre sie dabei, über gewisse Dinge nachzudenken und sie erst mal in die Reihe zu bekommen.
Mit einer etwas theatralisch anmutenden Geste hob die kleine Gestalt ihre Arme an, ließ sie wieder sinken und sah dabei aus wie jemand, der keinen Erfolg gehabt hatte.
Sie sucht etwas.
Die Puppe! Sie will die Puppe! Zum erstenmal gelang es Helen, wieder einen klaren Gedanken zu fassen. Es ging um die Puppe. Mit diesen Worten war Helen begrüßt worden, ohne die Person überhaupt gesehen zu haben. Die Puppe, deren Kopf man vom Körper abgeschlagen hatte.
Beide Teile lagen draußen im Garten auf dem Tisch. Helen konnte sich vorstellen, daß genau diese Puppe das Spielzeug des kleinen Mädchens gewesen war.
Mein Gott, dachte sie. Ich muß reden. Ich muß mich ausdrücken können!
Ich muß sprechen. Ich kann hier nicht stehenbleiben und einfach nur starren. Ich muß mich reinhängen. Sie wunderte sich über die eigene Kraft. Denn ihre Gedanken sagten ihr gleichzeitig, daß sie diese Person bereits akzeptiert hatte.
Eine Tote in meinem Haus…
Nein, nur nicht darüber nachdenken. Sich einfach nur mit der Gegenwart befassen, und die folgenden Worte stieß sie keuchend aus. »Du bist gekommen, weil du die Puppe willst.«
»Ja…«
»Sie gehört dir?«
»Ich habe sie geliebt.«
»Auch ohne Kopf?« Die Worte waren der Frau einfach herausgerutscht, sie hatte ihren Gefühlen nachgegeben und schämte sich dafür. Sie wünschte, die andere Person nicht erschreckt zu haben, auch daß sie ihr nicht böse war, aber Cynthia sagte nichts. Sie fing plötzlich an zu weinen. Ein Geist, der weinte. Das war auch für Helen neu. Sie wußte sowieso nicht, was sie tun sollte, was sie richtig,
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