Totenreigen
den
Wiesenweg.
»Sie müssen das Buch bei Frau Perlinger noch bezahlen!«, rief Lüthje
ihr hinterher.
Lüthje ging in die Drogerie und kaufte sich Waschbenzin und einen
Putzlappen. Als er auf der Grenze zum Hundestrand an seinem Strandkorb
angekommen war, sah er Albert Sundermeier ins Haus gehen.
Lüthje tränkte den Putzlappen mit Waschbenzin und versuchte, die
Nullen vor der Sieben auf der Rückseite seines Strandkorbes abzuwischen.
War Sundermeier den Umweg über die Parkstraße gegangen, um Ingrid
Klockemann aus dem Wege zu gehen? Es würde für Albert Sundermeier überhaupt ein
Problem sein, ins Dorf zu kommen, ohne ihr zu begegnen. Jedenfalls wenn sie
sich nichts zu sagen hätten. So hatte die Begegnung auf dem Probsteier Platz
aber nicht ausgesehen, jedenfalls was Frau Klockemann betraf. Sie war ohne
Umschweife in ein Gespräch über irgendein aktuelles Problem eingestiegen, über
das er nicht sprechen wollte. Er hatte Lüthjes Auftauchen genutzt, um ihr zu
entfliehen.
Ingrid Klockemann konnte leicht aus einem Fenster ihres Hauses
überprüfen, ob Sundermeier sein Haus verließ und ob er also über die
Strandstraße oder den Promenadeweg ins Dorf ging. Sie musste nur zwischen den
Fenstern hin- und herlaufen. Vielleicht war sie deshalb so schlank.
Das Flechtwerk des Strandkorbes war inzwischen an der von Lüthje
bearbeiteten Stelle grau geworden.
Er wusch sich die Hände im Salzwasser. Es roch immer noch. Ohne
Seife ging es wohl nicht.
»Es ist, wie es ist«, sagte er zu sich selbst.
Er verschloss den Strandkorb wieder und fuhr mit dem Fahrrad zu
Sundermeiers Haus.
»Darf ich mir bei Ihnen die Hände waschen?«, fragte er den
überraschten Albert Sundermeier, als der ihm öffnete. »Ich habe meinen
Strandkorb von Schmutz reinigen müssen. Für das Haus nebenan habe ich einen
Schlüssel, aber da gibt es keine Seife, und ich gehe da auch nicht so gern
rein, verstehen Sie?«
»Ja, natürlich«, sagte Albert Sundermeier und wies in den Flur. »Die
zweite Tür rechts.«
Es war ein kleines Gäste- WC . Am
Waschbecken stand eine desinfizierende Handlotion. Nach zweimaligem Waschen
waren Lüthjes Hände wieder sauber und rochen wie eine Zahnarztpraxis.
»Das ist der Vandalismus von den Leuten, die sich am Hundestrand
herumtreiben«, sagte Albert Sundermeier, als Lüthje wieder in den Flur kam. Er
stand immer noch in der Nähe der Haustür. »So etwas gab es hier früher nicht.«
Lüthje krempelte sich die Hemdsärmel wieder herunter, nahm den
Rucksack auf und warf die Jacke über die Schulter.
»Herr Sundermeier, ich wollte Ihnen übrigens sagen, dass am Samstag
wegen der Opernaufführung das Ehrenmal den ganzen Tag aus Sicherheitsgründen
geschlossen bleibt. Nur Besucher mit Eintrittskarte dürfen auf das Gelände, und
auch nur auf die Zuschauertribüne.«
Sundermeier sah überrascht auf.
»Ich sage Ihnen das nur wegen Ihres Sohnes«, sagte Lüthje. »Er geht
doch jeden Tag in das Ehrenmal, um zu singen. Und da für ihn die Regelmäßigkeit
seines Tagesablaufes wichtig ist, müssten Sie ihn darauf vorbereiten, dass es
am Samstag anders ist. Sehe ich das richtig?«
»Ja, natürlich, Sie haben völlig recht!«, sagte Albert Sundermeier
aufgeregt. »Wenn ich mir vorstelle, dass er am Samstag dorthin gegangen wäre
und man ihn barsch wieder weggeschickt hätte … er kann dann sehr aufgeregt
werden, panische Angst würde er bekommen, seine Welt gerät dann aus den Fugen.
Ich bin Ihnen für den Hinweis sehr zu Dank verpflichtet.«
»Wie werden Sie ihm das sagen? Indem Sie ihm eine Alternative für
den Zeitraum anbieten?«
»Ja, so ähnlich, ich werde mir was überlegen.«
»Dann hab ich da noch eine Frage …« Lüthje suchte nach Worten. »Als
ich mich vorgestern mit Ihnen hier unterhalten habe, sagten Sie mir, dass Sie
die Nachbarschaft nicht interessiert, auch keine Details. So ähnlich hatten Sie
sich ausgedrückt.«
Albert Sundermeier nickte und sah Lüthje misstrauisch an. »Ja, das
ist richtig.«
»Vorhin auf dem Probsteier Platz bin ich ja zufällig Zeuge geworden,
als Frau Klockemann auf Sie zukam und auf Sie einredete, als ob es irgendein
Problem zwischen Ihnen gäbe, das dringend geregelt werden müsste. Sie verstehen
ja etwas von Körpersprache. So, wie Sie das Verhalten meiner Mitarbeiter
letztes Mal analysiert haben …«
Albert Sundermeier sah Lüthje aufmerksam und ängstlich an, so als ob
er jedes Wort, das aus Lüthjes Mund kam, fürchten müsste. Vielleicht überlegte
er sich,
Weitere Kostenlose Bücher