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Totenruhe - Bleikammer - Phantom

Totenruhe - Bleikammer - Phantom

Titel: Totenruhe - Bleikammer - Phantom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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einer offenen Aussprache zu geben. Sie wollte mit mir nach der Arbeit in ein Café gehen, um in Ruhe reden zu können.
    Für mich war das ein Ding der Unmöglichkeit, und das sagte ich ihr auch. Meine Frau, die ich in letzter Zeit ohnehin zu selten sah, wartete zu Hause auf mich. Außerdem wollte ich den Gerüchten, die zweifellos schon im Entstehen waren, keine Nahrung geben. Bei der großen Mitarbeiterzahl von Mitsugai war es fast sicher, dass uns jemand zusammen sah, auch wenn wir nur ein paar harmlose Worte miteinander wechselten. Bestimmt spitzte jetzt schon jemand die Ohren.
    Ich bedankte mich weder bei ihr, dass sie Mori auf mich hingewiesen hatte, noch tadelte ich sie deswegen. Ich tat so, als hätte das alles nichts mit ihr zu tun, und vielleicht war es ja so. Sie war ein sauberes, anständig wirkendes Mädchen, und ich tat mich schwer mit der Vorstellung, dass sie eine unmoralische Beziehung mit unserem Geschäftsführer verband. Und falls es eine solche Beziehung nicht gab, dann konnte sie auch keinen wirklichen Einfluss auf ihn haben, nicht wahr?
    Trotzdem kam mir auf dem Heimweg natürlich der Gedanke, sie könne zu der Sorte Mädchen gehören, die an erfolgreichen Männern einfach nicht vorbeikamen. Solche Frauen gab es nun einmal – Männer mit Geld und Ansehen zogen sie unwiderstehlich an. Ich hatte einen steilen Karriereweg eingeschlagen. Rechnete sie ernsthaft damit, dass ich noch weiter aufsteigen würde?
    Wie klug es gewesen war, Emis Bitte um ein privates Treffen auszuschlagen, wurde mir zwei Tage später bewusst. Nachts um elf Uhr (in der Firma war es besonders spät geworden) machte mir meine Frau eine überraschende Mitteilung. Sie war ganz aufgeregt, hatte feuchte Hände und hatte im Wohnzimmer eine Kerze auf den Tisch gestellt. Ich hätte niemals erraten, was sie mir zu sagen hatte, bis sie endlich den Mund aufmachte.
    Mit ihren 41 Jahren war sie zum dritten Mal schwanger geworden. „Ich denke, es ist passiert, als wir in jener Nacht alles ausprobierten, um dich zum Schlafen zu bringen“, sagte sie mit einem wunderschönen verschwörerischen Lächeln.
    „Hatten wir da kein Kondom benutzt?“, warf ich ein.
    „Nur beim ersten Mal. Beim zweiten Mal nicht mehr.“
    Eine Welle aus Freude und Sorge und tausend noch viel komplizierteren Gefühlen schwappte über mich hinweg und ließ mich auch in dieser Nacht nicht zur Ruhe kommen. Ich spürte, wie viel mir meine Frau, meine Ehe und meine Familie bedeutete, und ich schwor mir nicht nur, mit Emi auf keinen Fall etwas anzufangen und kein Gerede aufkommen zu lassen – vor allem schwor ich mir, der Firma nicht noch mehr Macht über mein Leben zu geben.
    Falls mir in diesem verrückten Unternehmen jemals wieder eine Beförderung angeboten wurde, würde ich sie ablehnen.

5
    Natürlich kommt im Leben vieles anders, als man es sich vorstellt. Und im Nachhinein ist es immer schwer zu entscheiden, welche Dinge man hätte verhindern können und welche nicht. Ich dachte in diesen Wochen und Monaten viel über das Schicksal nach, wie es wirkte, und welche Macht man selbst darüber hatte. Natürlich kam ich zu keinem abschließenden Ergebnis.
    Eines Abends wartete Emi in der Tiefgarage an meinem Wagen auf mich. Sie musste fast drei Stunden dort gestanden haben, denn so viel früher als ich hatte sie Feierabend gemacht. Zunächst war ich zornig über diese unverschämte Hartnäckigkeit und nahm mir vor, ihr auf keinen Fall nachzugeben, ganz gleich, was sie von mir wollte. Doch dann fing ich etwas auf, das in ihrem Blick war, etwas sehr Ernstes, beinahe Feierliches. Sie sah ganz und gar nicht aus wie eine Frau, die einen Mann auf die falsche Bahn führen wollte.
    „Ich respektiere es, wenn Sie mich nicht in ein Café begleiten wollen“, sagte sie. „Aber reden Sie wenigstens hier ein paar Worte mit mir, bitte!“
    Verdutzt öffnete ich die Zentralverriegelung meines Wagens und bedeutete ihr, dass sie auf der Beifahrerseite einsteigen durfte. Wir schlossen die Türen und ließen die Innenbeleuchtung ausgeschaltet, damit uns niemand sehen würde. In der Garage befanden sich jetzt nur noch rund ein Dutzend Autos – die anderen Mitarbeiter waren entweder schon nach Hause gefahren oder benutzten öffentliche Verkehrsmittel oder Taxis.
    Ich brauche nicht extra zu sagen, was für ein merkwürdiges Gefühl es war, im Dunkeln neben ihr zu sitzen. Mein Wagen stand in einer finsteren Ecke, die nächste Beleuchtung war weit entfernt, und ich konnte sie

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