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Totenruhe - Bleikammer - Phantom

Totenruhe - Bleikammer - Phantom

Titel: Totenruhe - Bleikammer - Phantom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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Aber ich möchte Ihnen wenigstens eines sagen: Hüten Sie sich vor der Bleikammer. Wenn Sie daran denken, kann Ihnen nichts geschehen.“
    „Die Bleikammer? Was soll das sein?“
    „Tut mir leid, das kann ich nicht erklären. Vertrauen Sie mir. Ich bin Ihr Schlüssel. Nicht der Schlüssel, um etwas zu öffnen, sondern der Schlüssel, um etwas verschlossen zu halten, was auf keinen Fall geöffnet werden darf. Wenn Sie meinen Rat befolgen, können Sie überleben, wenn Sie erst Geschäftsführer sind.“
    Jetzt musste ich lachen, aber es war kein angenehmes Lachen. Ich und Geschäftsführer! Vielleicht war bei ihr im Oberstübchen ja doch eine klitzekleine Schraube locker. So gut kannte ich sie nicht. Man sah es den Menschen nicht immer sofort an.
    Sie öffnete jetzt die Tür und stieg aus. Stumm und mit einer Verbeugung verabschiedete sie sich von mir. Ich startete den Motor, schaltete die Scheinwerfer ein und fuhr mit Schrittgeschwindigkeit hinter ihr her, damit sie Licht hatte, bis sie die Straße erreichte. Irgendwie hatte ich ein schlechtes Gefühl, als ich sie zur U-Bahn-Station gehen sah. Ich sagte mir, dass ich sie wenigstens nach Hause fahren sollte, aber im Augenblick war ich so erleichtert, sie nicht mehr im Wagen zu haben, dass mich vermutlich nicht einmal strömender Regen dazu gebracht hätte, sie wieder einsteigen zu lassen.
    Sehr nachdenklich machte ich mich auf den Heimweg.

6
    Vier Wochen später war Mori tot. Seine letzten vierzehn Tage hatte er im Krankenhaus verbracht.
    Natürlich interessierte es mich brennend, woran er gestorben war. Niemand schien etwas Genaues zu wissen, und so rief ich seinen Arzt an. Ich erwartete, abgewiesen zu werden, doch der Mediziner schien jede Schweigepflicht zu ignorieren und teilte mir bereitwillig mit, unser Geschäftsführer habe unter Magenkrebs gelitten, und dieser sei auch seine Todesursache gewesen.
    Das gab mir zu denken. Nicht die Krankheit, sondern die Tatsache, dass der Arzt so freimütig darüber sprach. Es klang ein bisschen, als habe er den Auftrag, eine Fehlinformation zu verbreiten, um die Wahrheit zu vertuschen. Bezog er Schweigegeld? Wenn ja, von wem? Von Moris Familie? Oder von der Firma?
    „Litt Mori wirklich unter Magenkrebs?“, wollte ich von Emi wissen.
    „Möglich“, erwiderte sie scheinbar gleichgültig. Doch ich sah, wie ihre Hände zitterten. Sie hatte versagt, hatte ihn nicht retten können – zumindest sah sie es so. „Wichtig ist jetzt, was die Zukunft bringt. Denken Sie immer daran, was ich Ihnen gesagt habe.“
    „Die Bleikammer, ich weiß“, sagte ich viel zu laut, und sie zuckte zusammen und blickte sich gehetzt um. Ich hätte mich ohrfeigen können. Wenn ich das Geheimnis aus ihrem Munde erfahren wollte, musste ich sie davon überzeugen, dass ich es für mich behalten konnte. Gerade verhielt ich mich genau umgekehrt.
    Es waren die Nerven. Die Arbeit, Moris Tod, dazu die Situation in meiner Familie – das alles belastete mich. Der Gynäkologe hatte meine Frau über das Risiko aufgeklärt, wegen ihres Alters ein behindertes Kind zu bekommen. Mir kam es so vor, als ob er diese Möglichkeit viel zu sehr aufgebauscht hatte, denn ich wusste, dass es in unserem Land leider üblich war, Frauen sehr schnell zu einer Schwangerschaftsunterbrechung zu drängen, wenn das Risiko einer Komplikation auch nur minimal erhöht war. Aber nun machte sie sich natürlich schreckliche Sorgen und hatte alle Hände voll zu tun, sich gegen den Arzt zu behaupten, der ihr die Vorteile einer Abtreibung in den schönsten Farben ausmalte. Schwangerschaftsabbrüche waren ein lukratives Geschäft für ihn.
    Gespräche über Moris Nachfolge ließen nicht lange auf sich warten. Die Eigentümer von Mitsugai, eine Handvoll Männer, die sich fast nie in der Firma sehen ließen, sprachen die fünf Bereichsleiter an, die wir hatten. Das war die normale Abfolge. Nur: Wenn die Gerüchte korrekt waren, dann waren alle fünf fest entschlossen, die Beförderung abzulehnen!
    Das wunderte mich nicht, und doch schockierte es mich. Das große leere Büro im sechzehnten Stock war so etwas wie ein Ort des Todes geworden. Es schluckte vitale, kerngesunde Menschen und spuckte ihre sterblichen Überreste nach wenigen Monaten wieder aus. Eine Menge seltsamer Geschichten waren im Umlauf, und einige davon fanden sogar den Weg in die Presse. Obwohl ich den Eindruck hatte, dass man alles tat, um die Sache herunterzuspielen, konnte es der Öffentlichkeit auf Dauer nicht verborgen

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