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Totenruhe - Bleikammer - Phantom

Totenruhe - Bleikammer - Phantom

Titel: Totenruhe - Bleikammer - Phantom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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alles fraß, was sich ihm in den Weg stellte. Ich wusste, dass in den Chefetagen längst Gespräche darüber liefen, andere Märkte zu erschließen, mit neuen Waren zu handeln, andere Firmen zu schlucken, ins Ausland zu expandieren, all die Dinge, die ein Unternehmen tun konnte, wenn es wucherte wie ein Krebsgeschwür. Als ich gegen Morgen für fünf Minuten einschlummerte, träumte ich von einer Welt der Zukunft, in der Mitsugai zu einer Art Gott geworden war, die einzige Firma, die es auf dieser Erde gab.
    Das Frühstück aß ich wie in Trance. Erst bei der Arbeit holte mich die Wirklichkeit wieder ein. Noch waren wir längst nicht so weit wie in meinem Traum, und ich war von Herzen dankbar dafür.
    CompuQuick Ueno ließ verlauten, man habe Hoffnung, Investoren zu finden. Und so war es dann auch. Das Unternehmen war angeschlagen und musste dreißig Prozent seiner Angestellten auf die Straße setzen, aber es war noch nicht besiegt. In Wirtschafts- und Finanzkreisen herrschte eine ähnliche Stimmung wie bei uns im Betrieb. Einerseits waren viele begeistert von den Erfolgen, die Mitsugai aufweisen konnte, andererseits befürchtete man ein Monopol und versuchte dem entgegenzuwirken. Ich war ausgesprochen erleichtert, als die Wirtschaftsnachrichten in den folgenden Wochen berichteten, CompuQuick Ueno sei mit Investitionen überschüttet worden, habe die Finanzspritzen klug umgesetzt und sei aus dem Schlimmsten heraus.
    Ich erhoffte mir eine etwas ruhigere Zeit, doch leider war mir diese nicht vergönnt. In allen Lebensbereichen ergaben sich Veränderungen, und mir schwirrte der Kopf.
    In der Firma lernte ich ein Mädchen namens Emi kennen (ein junges, hübsches Ding, zugegeben, aber gar nicht mein Typ), das sich sehr für mich interessierte. Emi hielt sich immer häufiger in meiner Nähe auf, verwickelte mich in Gespräche, lobte mich für meine Arbeit, und obwohl sie keine plumpen Annäherungsversuche machte, hatte ich das Gefühl, dass sie etwas von mir wollte. Mir war das nicht recht. Zum einen liebte ich meine Frau und war entschlossen, ihr treu zu bleiben, zum anderen hätte ich gar nicht gewusst, wie ich eine Liebschaft in meinen ohnehin überfüllten Zeitplan hätte packen sollen. Das alles überforderte mich, ich wurde gereizt und unruhig.
    Offenbar kannte Emi auch den jetzigen Geschäftsführer Mori sehr gut, und obwohl ich gar nicht scharf darauf war, versprach sie mir, bei ihm ein gutes Wort für mich einzulegen.
    Das führte dazu, dass ich bald zu Mori gerufen wurde, viel schneller, als es mir lieb war.
    Er hatte ein gewaltiges Büro im obersten, dem sechzehnten Stock. Der kleine, hagere Mann verschwand beinahe vollständig hinter dem zyklopischen Schreibtisch. An den Wänden hingen teure Gemälde, und irgendwie hatte ich den Eindruck, er würde oft hier herumgehen und sie ansehen, aus Langeweile vielleicht. Der Tisch war beinahe leer – nur ein Telefon stand dort, und ein schlichter Fotorahmen. Natürlich konnte ich das Foto nicht sehen, es wandte mir den Rücken zu, aber ich nahm an, dass es seine Familie zeigte. Er selbst kam mir einsam vor, als sei er hier gelandet und wisse nicht, was er mit seiner Position, seiner Zeit und dem weiten Raum anfangen sollte.
    Wir begannen ein belangloses Gespräch, das sich nur träge entwickelte. Immer wieder gab es lange Pausen, während deren wir Löcher in die Luft starrten. Nach dem Gewühl, das in den tieferen Stockwerken herrschte, kam man sich hier beinahe vor wie in einer Leichenhalle. Ich war mir nicht sicher, ob ich mit ihm hätte tauschen mögen.
    Als unser Dialog hoffnungslos zu versickern drohte, fragte mich Mori: „Emi sagte mir, dass Sie zwei Töchter haben und dass Ihre Frau kein Geld verdient.“ Es wunderte mich nicht, dass er so viel über mich wusste. In japanischen Firmen ist es üblich, auf allen Ebenen offen über die privaten Verhältnisse der Angestellten zu reden. Ein Grund mehr, mit Emi kein Techtelmechtel anzufangen. Die gesamte Firma wäre im Handumdrehen darüber informiert gewesen und meine Familie natürlich auch.
    „Würden Sie nicht gerne etwas mehr verdienen?“, fuhr er fort.
    „Ich verdiene nicht schlecht“, antwortete ich ausweichend. Weder ein „Ja“ noch ein „Nein“ schien mir angebracht.
    „Möchten Sie nicht Abteilungsleiter werden?“, fragte Mori.
    Darauf fiel mir nichts ein. Ich massierte meine Handgelenke. Bei dieser Geschwindigkeit sitze ich in weiteren drei Monaten auf Ihrem Stuhl , dachte ich bei mir, aber

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