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Totenruhe - Bleikammer - Phantom

Totenruhe - Bleikammer - Phantom

Titel: Totenruhe - Bleikammer - Phantom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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Mitsugai gesungen. Meine Frau erzählte ihm daraufhin, ihr Gatte arbeite dort, und später behauptete sie mir gegenüber, es habe nicht viel gefehlt, und der Händler hätte um ein Autogramm von mir gebeten.
    Weitere fünf Wochen nach meiner Beförderung zum Projektleiter stieg ich zum Gruppenleiter auf. Jetzt hatte ich immer häufiger mit Geschäftskunden zu tun, und war ich anfangs vor den Gesprächen noch nervös gewesen, so entspannte ich mich allmählich immer mehr. Die Verhandlungen verliefen stets positiv. Nie war mir solche Offenheit und Kooperationsbereitschaft entgegengeschlagen. Selbst Firmen, die als schwierig galten, gaben sich unseren Wünschen vollkommen hin, und die einzige Sorge, die unsere Verhandlungspartner manchmal äußerten, war die, dass wir anderen Kunden den Vorrang geben könnten. Ich erhielt Werbegeschenke, die ich kaum tragen konnte.
    Eines Abends – es war schon nach 22 Uhr, ich hatte gearbeitet wie ein Ochse und war erschöpft, aber glücklich – machte ich Hara während der gemeinsamen Fahrstuhlfahrt nach unten einen Vorschlag. Wir sollten den unglaublichen Erfolg, den wir hatten, nicht einfach geschehen lassen, sondern eine detaillierte Untersuchung durchführen lassen, am besten von fähigen Wissenschaftlern. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse konnten wir in einen Safe packen und nutzen, sobald auch Mitsugai einmal in eine Krise rutschte (und das musste ja irgendwann passieren). Oder wir konnten Teile der Analyse für horrende Summen an andere Betriebe verkaufen.
    Natürlich schmetterte Hara den Vorschlag ab und wurde beinahe etwas ungehalten. Was bei Mitsugai ablief, könne man nicht analysieren, meinte er. Und er erzählte mir etwas über Zen und das Bogenschießen und darüber, dass man nur ins Schwarze treffen konnte, wenn man in dem Moment, da man den Pfeil losschnellen ließ, nicht über die Hand und die Bogensehne nachdachte. Ich bin nicht sicher, ob ich viel von dem verstand, was er sagte, aber ich begriff natürlich, dass alle Mitarbeiter sich vor allem vor einer Sache fürchteten: Jeder hatte Angst, der unerklärliche Erfolg unseres Unternehmens könne eines Tages ein ebenso unerklärliches Ende finden. Je höher der Flug, desto tiefer würde der Fall sein.
    „Genau deshalb will ich die Analyse“, beharrte ich. Doch er sah mich nur an, als hätte ich ihn gefragt, ob ich mir seine Frau für eine Nacht ausleihen könnte. Wir erreichten die Tiefgarage, stiegen in unsere Autos, hupten uns versöhnlich zu und begaben uns auf unsere Heimwege.
    Ich glaube, es war am darauffolgenden Tag, da brachten die Abendausgaben der Zeitungen einen überraschenden Artikel. Die Arbeit wurde unterbrochen, wir stellten Radios und Fernseher an und unterhielten uns aufgeregt. CompuQuick Ueno, das größte und hartnäckigste Konkurrenzunternehmen von Mitsugai, hatte soeben Insolvenz angemeldet!
    Unter uns hätte Jubel ausbrechen müssen, doch wir waren eher schockiert und sprachen von der Angelegenheit, als sei irgendwo ein Flugzeug abgestürzt. Obwohl wir sehr viel redeten, geradezu plapperten, hielt uns ein lähmender Schrecken gefangen. Es war uns an diesem Tag unmöglich, wieder an unsere Arbeit zurückzukehren.
    In den fast drei Monaten, die ich nun hier angestellt war, hatte ich fast täglich Meldungen gehört, dass unsere Konkurrenten Umsatzeinbußen hinnehmen mussten, und zwei oder drei Mal hatten kleinere Betriebe aus der Branche ins Gras gebissen.
    Doch nun stand ein gigantisches Unternehmen auf des Messers Schneide, eine Firma, die Tausende von Menschen beschäftigte. Der einzige ernsthafte Rivale, den Mitsugai noch hatte. Wir alle kannten die Marktlage gut genug, um prophezeien zu können, dass es für CompuQuick Ueno schwierig werden würde, Investoren zu finden, die das Unternehmen vor dem endgültigen Aus retten konnten. Sehr wahrscheinlich würden wir in unserer Größenordnung bald alleine dastehen.
    Und das machte uns melancholisch. Wir spürten die Schwermut des Heeres, das plötzlich, mitten im Kampfgetümmel, erfahren muss, dass es den Gegner bezwungen, vernichtet, ja, vollständig ausgerottet hat …
    Ich nehme an, in dieser Nacht schliefen wir alle nicht besonders gut. Nicht einmal die bewährten Entspannungsrituale, die meine Frau mit mir durchführte (die jugendfreien und die anderen) halfen etwas, und so lag ich die ganze Nacht lang wach und dachte über das Ungeheuer nach, von dem ich ein Teil war.
    Mitsugai erschien mir zum ersten Mal bedrohlich, wie ein Moloch, der

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