Totenruhe - Bleikammer - Phantom
tatsächlich nur schemenhaft erkennen.
„Bitte“, meinte ich. „Sprechen Sie!“
„Ich mache mir Sorgen.“
„Aber doch nicht um mich?“ Ich lachte heiser.
„Doch, auch das, aber nicht vordergründig. Es ist Mori. Er sieht krank aus, nicht wahr?“
Unwillkürlich umfasste ich das Lenkrad, obwohl ich mir komisch dabei vorkam. Wie ein Kind, das im väterlichen Auto bei ausgeschaltetem Motor Fahren spielt. „Sie denken, er wird auch sterben, wie sein Vorgänger?“
Nach einer langen Pause antwortete sie. „Ja. Das denke ich. Er hat höchstens noch ein paar Wochen.“
„Aber“, meine Stimme wurde sehr laut, „er ist nicht alt! Auf mich machte er einen sehr gesunden Eindruck, als er die Position übernahm.“
„Sie sind alle kerngesund, ehe sie Geschäftsführer werden. Aber dann … dann verfallen sie.“
„Der Stress kann es nicht sein“, murmelte ich in einem Anflug von schwarzem Humor. Vor mir tauchte das Bild von Mori auf, wie er zu Tode gelangweilt an seinem Schreibtisch saß.
Emi knisterte in der Dunkelheit mit einer Tüte herum und schob sich ein Bonbon in den Mund, ohne mir eines anzubieten. Möglicherweise ein Zeichen, wie sehr ihre Gedanken sie vereinnahmten. „Ich dachte, ich könnte ihn davor bewahren. Ich habe es von Anfang an versucht. Gott, ich habe sogar …“
Ich hörte, wie sie die Nase hochzog, und dachte zunächst, sie sei erkältet. Irgendwann begriff ich, dass sie weinte.
„Was ist denn los?“, wollte ich wissen.
„Ich bin sogar intim mit ihm geworden“, schluchzte sie. Mit einer solchen Beichte hatte ich nicht gerechnet. Warum erzählte sie mir davon? Ich hatte es nicht hören wollen. „Ich musste versuchen, sein Vertrauen zu gewinnen, einen Draht zu ihm zu finden, damit er einsah, wie … ernst es mir war. Ich habe es nur getan, um ihn davon abzuhalten, diese Dummheit zu begehen. Ich wollte ihn führen, beschützen, aber ich habe versagt. Er ist krank geworden, und ich konnte es nicht verhindern.“
Schweigend starrte ich vor mich hin. Im Rückspiegel sah ich, wie im Zentrum der Tiefgarage ein Mitarbeiter in seinen Wagen stieg. Erst, als er weggefahren war, fragte ich: „Was für eine Krankheit hat er?“
„Das kann ich nicht sagen.“
„Weil Sie es nicht wissen, oder weil …?“
Sie kramte ein Papiertaschentuch hervor und schnäuzte sich. „Ich weiß es, aber es ist gefährlich, anderen davon zu erzählen.“
„Eigentlich geht es mich wirklich nichts an“, meinte ich leicht indigniert.
„Doch“, widersprach sie unerwartet heftig. „Es geht Sie sehr viel an, aber ich bin noch nicht sicher, ob ich Ihnen das Geheimnis anvertrauen kann. Sie werden sich noch gedulden müssen.“
Allmählich machte sie mich nicht nur nervös, sondern richtig wütend. Zuerst wollte sie unbedingt mit mir sprechen, und nun gab sie sich orakelhaft. Ich schob meinen Ärmel zurück und sah auf die Uhr. Es war schon nach Zehn. Ich wollte nach Hause, zu meiner Frau. Wollte wissen, ob es ihr gut ging. Ihre Schwangerschaften hatten sie vor allem in den ersten Monaten immer sehr mitgenommen. Vielleicht kniete sie in diesem Moment vor der Toilette und übergab sich. Jede Minute, die ich nicht bei ihr sein konnte, machte mich kribbelig.
„Wenn Sie und Ihr großes Geheimnis jetzt bitte aussteigen würden“, meinte ich leise, aber bestimmt. So deutlich wurde ich nur selten. Normalerweise achtete ich darauf, die Gefühle anderer nicht zu verletzen.
„Okamoto-san“, sagte sie. Nein, sie rief es. „Sie müssen das verstehen! Ich kenne das Geheimnis dieser Firma. Wenn ich es Ihnen sage, kann es Ihr Leben retten. Aber … wenn Sie es an die Öffentlichkeit geben, Leuten verraten, die es nicht für sich behalten können, dann bedeutet das das Ende von Mitsugai! Eine einzige Information kann alles zunichtemachen.“
Ihre Worte trafen mich wie Hammerschläge. Wäre ich nicht in den letzten Monaten zu der Überzeugung gekommen, dass es irgendein Geheimnis hinter dem unglaublichen Erfolg dieses Unternehmens geben musste, hätte ich ihre Ausführungen als das Geschwafel einer Frau abtun können, die mit ihrem Boss geschlafen hatte und sich nun wichtigmachen wollte. So aber spürte ich eine Gänsehaut am ganzen Körper, stellte mich auf schockierende Wahrheiten ein.
„Ich werde es niemandem weitersagen“, erklärte ich und schluckte. „Verraten Sie es mir.“
„Nein.“ Sie schnäuzte sich und stopfte das Taschentuch umständlich in den Aschenbecher. „Das geht nicht. Noch nicht.
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