Totenruhe - Bleikammer - Phantom
noch abspringen, war abgewendet. Doch um welchen Preis? Im zentralen Raum ihres Hauses zeigte sich ein schauriger Spuk, und es schien, als habe eine fremde Macht eingegriffen, damit sie auch wirklich einzogen.
Warum? Wer oder was wollte sie in diesem Haus haben?
Jedes Mal, wenn Konrad die fahlen Schatten von Beinen mitten in der Luft der Eingangshalle auftauchen sah, packte ihn ein eisiges Grauen. Er fragte sich, ob sie auf Falkengrund nicht in einer Falle steckten. Ob sie Falkengrund gewollt hatten oder Falkengrund sie. Und er fragte sich, ob der erfolglose Illusionist namens Konrad Winkheim tatsächlich der richtige Mann war, um sich mit dem zu beschäftigen, was in dieser Welt echtes Entsetzen erzeugte. Der Manifestation einer ruhelosen Seele zu begegnen war etwas elementar anderes als auf der Bühne eine Jungfrau zu zersägen, ohne dass ein Tropfen Blut floss.
Seit ihrem Einzug war kein Tag vergangen, an dem er nicht ungläubig, fasziniert und voller Furcht auf der Treppe stand und auf das schaurige Schauspiel hinabblickte. Seine Gedanken kreisten um die Frage, wie er dem Spuk ein Ende bereiten konnte. Es erschien ihm wie ein erster großer Test. Er musste ihn bestehen, um sich Herr von Falkengrund nennen zu dürfen. Musste Geister vertreiben, von denen er nicht wusste, wer sie waren und welche Geschichte sie hatten.
Bestand ein Zusammenhang zwischen ihnen und der Wandlung, die mit Charmaine vor sich gegangen war? Im Grunde war sie ganz die alte, wirkte unverändert. Doch die Begeisterung, die sie mit einem Mal für das Schloss aufbrachte, war nicht natürlich.
Sie behauptete, das Haus sei traurig und benötige ihren Trost.
Alle benötigten sie ihren Trost. Samuels Vater, Samuel selbst und nun sogar ein altes Gebäude. Und was war mit ihm, Konrad? Ging es ihm denn so unendlich gut, dass er auf die wertvollste Gabe verzichten konnte, die das Schicksal seiner Gefährtin mitgegeben hatte?
In dieser Nacht war er nicht bei der Sache. Alle Widersprüche und Wirrnisse, die dieser Situation innewohnten, piesackten ihn, einer Horde Kobolde gleich. Obwohl sein Unterleib wie eine Maschine funktionierte, fiel Charmaine seine Abwesenheit auf. Sie versuchte sich vom ihm herab zu rollen, doch er hielt sie fest.
„Geh nicht weg“, wisperte er.
„ Was ’ast du, chéri? “ Sofort gab sie seiner sanften Gewalt nach.
„Ich möchte, dass du die Handschuhe abstreifst.“
In der nahezu vollkommenen Dunkelheit erhaschte er einen Blick auf ihr Gesicht, das sich verzerrte. Jetzt spannte sie ihre Muskeln an, versuchte ihm zu entkommen. Blitzschnell fuhr seine Hand an ihrem Unterarm hinab, bis er den Seidenstoff spürte, hakte seine Finger dort ein und zog.
„NEIN!“
Die Stimme, die das Wort gerufen hatte, gehörte nicht ihm und schon gar nicht Charmaine. Es war ein Grollen in der Wand gewesen, kaum artikuliert, fast nicht von einem fernen Donner zu unterscheiden, dessen Schwingungen von irgendetwas im Haus aufgefangen wurden.
Konrads Körper versteifte sich. Er starrte in die Dunkelheit, während er beiläufig mitbekam, wie Charmaine ihm ihre Hand entriss und sich am Fußende des Bettes zwischen seinen Beinen zusammenkrümmte. Hatte er wirklich ein Wort gehört?
„ Pas de problème “, hauchte Charmaine. „ C’est bon. Relâche-toi. “
Mit wem sprach sie da? War noch jemand im Zimmer?
An der Wand rechts von ihm gab es einen kurzen Lichtreflex. Eine Gestalt wurde aus der Finsternis geschält, seltsam zweidimensional. Es war ihm, als sehe er das Muster der Tapete durch sie hindurch!
„Wer ist da?“ Schon stand er vor dem Bett. Er war unbewaffnet. In der Nähe gab es nichts, womit er sich verteidigen konnte. Auf der Wand flimmerte es erneut. Diesmal war die Gestalt deutlicher zu erkennen. Es handelte sich um einen Mann. Er hatte lange, zerzauste Haare und einen schmalen Kinnbart. Seine Augen blickten durchdringend.
„ICH NEHME NICHT, WAS DIR GEHÖRT.“ Da war sie wieder, die dumpf grollende Stimme, wie aus weiter Ferne. Die Lippen des Fremden bewegten sich nicht. „ALSO NIMM DIR NICHT, WAS MIR ZUSTEHT.“
Konrad schnappte nach Luft. Er tastete so unglücklich nach der Petroleumlampe auf dem Nachttisch, dass er sie zu Boden warf.
„ Geh! “, sagte Charmaine ernst und beherrscht, und sie sagte es zu ihm. „ Värlassö diesös Simmär! “
„Das würde dir so passen“, wurde er ungehalten. „Und dich mit diesem … diesem … Ding alleine lasse, was? Ich … du trägst nicht einmal etwas am Leib und
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